Die Teerose
runter, im ganzen Land!« rief Fiona aus.
»Und du hast Großhandelsverträge mit Hotels«, sagte Nate.
»Und mit Kaufhäusern«, rief Fiona.
»Und mit Eisenbahn- und Schiffahrtsgesellschaften«, fügte Maddie hinzu.
»Und ihr beide macht nichts als Werbung für Tastea, Kampagnen und Verpackungen …
»Es wird ein Riesenerfolg«, sagte Maddie strahlend. »Für uns alle!«
Lachend ergriff Fiona die Hände ihrer Freundin und begann, mit ihr durch den Laden zu tanzen und sie herumzuwirbeln, bis ihnen so schwindelig war, daß Nate sie festhalten mußte. Die drei waren so ausgelassen, daß sie den Jungen nicht bemerkten, der mit seiner Mütze in der Hand in der Tür stand. Er blieb eine Weile stehen, beobachtete sie ängstlich und zupfte Nate schließlich an der Jacke.
»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte er.
»Tut mir leid, Junge«, antwortete Nate. »Ich hab dich nicht gesehen. Was kann ich für dich tun?«
»Wohnt hier Fiona Finnegan?«
»Ja, das bin ich«, sagte Fiona und beugte sich, nach Atem ringend, über die Ladentheke.
»Sie müssen mit mir kommen, Miss. Schnell«, sagte er und wandte sich wieder zur Tür.
»Warte einen Moment«, sagte Fiona. »Vielleicht sagst du mir erst mal, wer du bist.«
»Ich bin Stevie Mackie. Meine Ma hat gesagt, ich soll Sie holen. Sie sagt, unser Untermieter, Mr. Soames, stirbt.«
In der Sixteenth Street angekommen, nahm Fiona zwei Stufen auf einmal. Alle Gedanken an Tee und Teestuben waren wie weggeblasen. Jetzt beherrschte sie nur noch ein Gedanke, die Angst, ihren besten Freund zu verlieren.
In der Droschke, die sie genommen hatte, erzählte ihr Stevie, daß seine Mutter erst heute nachmittag von Nicks Krankheit erfahren habe. Die Miete sei überfällig gewesen, und deswegen sei sie zu ihm hinuntergegangen. Da niemand auf ihr Klopfen antwortete, habe sie selbst aufgeschlossen und ihn sehr krank im Bett vorgefunden.
»Was hat er denn, Stevie?« fragte Fiona und fürchtete sich vor der Antwort.
»Ich weiß es nicht. Meine Ma hat’s mir nicht gesagt. Sie hat mich nicht in seine Wohnung gehen lassen. Sie hat furchtbare Angst vor der Cholera. Auf seinem Nachttisch hat sie ein Notizbuch mit Ihrer Adresse und der Adresse seines Arztes gefunden. Dann hat sie mich zu Ihnen und meinen Bruder zu dem Arzt geschickt.«
Ich hätte nicht auf ihn hören sollen, dachte Fiona, als sie die letzten Stufen hinaufeilte. Ihm ging’s nicht gut. Das wußte ich. Ich hätte seinen albernen Ausflüchten keinen Glauben schenken sollen. Vor seiner Tür angelangt, drehte sie den Türknopf. Die Tür war verschlossen. »Der Schlüssel, Stevie«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Wo ist der Schlüssel?«
»Ma!« rief er die Treppe hinauf. »Ma, ich hab Miss Finnegan mitgebracht. Sie braucht den Schlüssel.«
Fiona hörte Schritte auf dem Treppenabsatz über sich, dann kam eine etwa vierzigjährige, grobknochige Frau in einem verblichenen Baumwollkleid die Stufen herunter.
»Haben Sie den Schlüssel?« fragte Fiona ungeduldig.
»Sind Sie Miss Finnegan?«
»Ja.«
»Ich bin Mrs. Mackie …«
»Ich brauch den Schlüssel«, erwiderte Fiona mit leicht erhobener Stimme.
»Ja, ja, natürlich«, antwortete Mrs. Mackie verwirrt. Sie griff in die eine, dann in die andere Tasche. »Er hat nach Ihnen gerufen. Ich weiß nicht, wie lange es ihm schon so schlechtgeht. Ein paar Tage, denke ich …«
»Den Schlüssel!« rief Fiona.
»Hier«, sagte sie, und Fiona entriß ihn ihr. »Es geht ihm sehr schlecht, Miss«, fuhr Mrs. Mackie aufgeregt fort. »An Ihrer Stelle würde ich nicht reingehen. Das ist kein Anblick für eine junge Dame. Wer weiß, was er hat.«
Fiona öffnete die Tür, lief hinein und ließ Mrs. Mackie im Treppenhaus zurück. In der Wohnung war es dunkel, die Vorhänge waren geschlossen, aber sie kannte den Weg. Sie war schon einmal hiergewesen. »Nick?« rief sie und lief durch Diele, Flur, an der Küche vorbei, durch ein Wohnzimmer, einen weiteren Gang und am Badezimmer entlang zu seinem Schlafzimmer. »Nick?« rief sie wieder, bekam aber immer noch keine Antwort. »Bitte, Gott, laß es ihm gutgehen«, flüsterte sie. »Bitte.«
Ein entsetzlicher Gestank schlug ihr entgegen, als sie seine Schlafzimmertür öffnete – ein Geruch nach Schweiß und Krankheit und nach etwas anderem, etwas Untergründigem, Dunklem, aber zutiefst Vertrautem: der Geruch von Verzweiflung. »Nick?« flüsterte sie und lief auf ihn zu. »Ich bin’s, Fiona.«
Er lag auf einem großen Himmelbett aus
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