Die Teerose
Gefühl, das er sich nicht erklären konnte. Joe hatte sie verletzt, und sie hatte sehr deutlich gemacht, daß sie ihn nie mehr sehen wollte. Aber tief in seinem Innern spürte Roddy, daß sie ihn brauchte. Jetzt. Er gab viel auf seine Ahnungen, schon immer. Man sagte, daß Polizisten – die guten – einen sechsten Sinn hätten. Roddys sechster Sinn hatte ihn noch nie betrogen. Als er sich Fynmore’s näherte, entdeckte er Joe. Er zog gerade los, mit einem anderen jungen Mann.
»Joe!« rief er. »Joe Bristow!«
Joe drehte sich um und stellte den Wagen ab. »Was machst du denn hier, Roddy?« fragte er. »Bist du nach Covent Garden abgeordnet worden?«
»Nein, ich bin hier, weil ich dich treffen will.«
»Ist was passiert?« fragte er, plötzlich besorgt. »Es ist doch nichts mit meiner Mutter, oder?«
»Nein, Junge. Keine Sorge. Ich hab deine Mutter gestern zufällig getroffen. Sie hat mir gesagt, daß du dich selbständig gemacht hast und Geld sparst, um Fiona nachzufahren.«
»Stimmt.«
»Wieviel brauchst du denn?«
»Um die achtzehn Pfund, denk ich. Für Überfahrt, Unterkunft, Essen und …«
»Wieviel hast du?« unterbrach ihn Roddy.
»Etwa sechs Pfund und ein paar Shilling.«
»Da …« Roddy griff in seine Hosentasche und zog ein Bündel Scheine heraus. »Das sind meine und Grace’ Ersparnisse. Hier sind fünfzehn Pfund.«
Joe sah auf das Geld in seiner Hand und schüttelte den Kopf. »Roddy, das kann ich nicht annehmen.«
»Grace und ich wollen es so. Wir wollen, daß du Fiona findest. Mach schon, Junge, nimm es, und beweg deinen Hintern in Richtung Schiff.«
Joe nickte und steckte das Geld ein. »Danke, Roddy. Ich zahl dir jeden Penny zurück, das schwör ich dir.«
Joe nahm seinen Bruder bei den Schultern. »Jimmy, du machst jetzt die nächsten Wochen weiter. Bis ich wieder zurück bin, bist du der Chef.«
»Gütiger Himmel! Willst du denn gleich aufbrechen?« fragte Roddy.
»Jawohl«, antwortete Joe.
»Was? Wohin gehst du denn? Warte doch! Das ist doch erst mein zweiter Tag, Joe!« protestierte Jimmy.
»Du bist ein schlauer Junge, Jimmy. Du schaffst das schon. Geh einfach die Route, die ich dir gezeigt hab. Sag unserer Mutter, daß ich Fiona suchen gegangen bin. Ich schreib ihr, sobald ich angekommen bin. Mach deine Arbeit gut, Jimmy, hörst du? Ordentlich. Vermassel’s nicht!« Er eilte davon.
»Wart doch! Joe, warte! Ach, Mist!« rief Jimmy, der zusah, wie sein Bruder die Straße hinunter verschwand. Er hielt die Hände an den Mund und schrie: »Joe! Wo zum Teufel gehst du denn hin?«
»Nach Amerika, Jimmy!« rief er über die Schulter zurück. »Nach New York!«
50
S etzen Sie sich, Mr. McClane. Beruhigen Sie sich«, sagte Kevin Burdick beschwichtigend.
»Sagen Sie mir nicht, daß ich mich beruhigen soll, verdammt!« schrie Will junior und ging in dem winzigen, stickigen Büro auf und ab. »Er heiratet sie in einem Monat.«
»Sie machen Witze.«
»Ich wünschte, so wär’s. Er hat ihr einen Antrag gemacht. Sie marschiert mit einem Diamanten so groß wie ein Baseball durch die Gegend. Der hat ein Vermögen gekostet. Mein Vermögen, zum Teufel! Was immer Sie gegen sie in der Hand haben, sollte was taugen. Was haben Sie denn?«
Burdick räusperte sich. »Nichts.«
Will blieb stehen. »Was?«
Burdick wand sich auf seinem Stuhl. »Ich hab versucht, was auszugraben, aber sie ist das ehrbarste Wesen, das mir je untergekommen ist. Es gibt keinen anderen Liebhaber. Sie sucht keine Opiumhöhlen auf und verkauft keine Waisenkinder auf dem Schwarzmarkt. Das schlimmste, was sie je getan hat, war Ringewerfen an einer Bude in Coney Island. Sie tut nichts anderes als arbeiten, schlafen und sich mit Ihrem Vater treffen.«
Will war bleich vor Zorn. »Was soll das heißen? Daß ich die Heirat nicht verhindern kann? Hab ich Sie dafür bezahlt?«
»Lassen Sie mich ausreden, Mr. McClane. Ich glaube, ich kann Ihnen trotzdem helfen. Obwohl ich nichts gegen Miss Finnegan finden konnte, hab ich was gegen ihren Freund Nicholas Soames. Wie’s aussieht, scheint er Schwulenbars zu besuchen. Er ist ständiger Gast im Slide auf der Bleecker Street.«
»Na und?« schrie Will. »Mein Vater heiratet doch nicht Nicholas Soames!«
»Das weiß ich. Aber vielleicht könnte man die sexuellen Neigungen von Mr. Soames benutzen, um einen Skandal auszulösen. Das ist ein bißchen umständlich, aber ich glaube, es könnte funktionieren.«
»Wie soll mir das nutzen? Es schert mich einen Dreck, was
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