Die Teerose
Geräusch ertönte, und die Maschine blieb stehen. »Stuart!« rief sie. »Sie sind immer noch aufgerissen! Jeder einzelne!«
Nick blinzelte überrascht, als plötzlich unter dem Gewirr von Hebeln, Platten und Schienen ein Kopf auftauchte. Es war Stuart Bryce, Fionas Prokurist, den sie vor acht Jahren von Millard’s abgeworben hatte.
»Was?« brüllte er. »Ich kann Sie nicht hören! Dieses verdammte Ding hat mich taub gemacht.«
»Es muß an der Spannung der Rollen liegen«, rief sie und reichte ihm einen der Beutel.
Eine andere Stimme ertönte unter der Maschine hervor. Nick nahm an, daß sie von dem Mann stammte, dessen Füße neben Stuarts Kopf zu sehen waren. »Das kann nicht sein! Wir haben die Rollen schon dreimal eingestellt!«
»Dann stellen Sie sie eben ein viertes Mal ein, Dunne! Sie sind doch schließlich der Mechaniker, oder?«
Nick hörte ein genervtes Schnauben. »Es sind nicht die Rollen, Mrs. Soames. Es ist der Stapelmechanismus. Die Kanten reißen den Stoff auf, wenn die Beutel durchlaufen.«
Fiona schüttelte den Kopf. »Dafür sind die Ränder nicht glatt genug. Der Schnitt wäre sauber, wenn der Stapler sie gemacht hätte. Es ist die Spannung, Dunne. Der Musselin ist zerrissen, nicht zerschnitten. Also, reparieren Sie’s jetzt, oder soll ich es tun?«
»Bei dem Versuch würde ich gern zusehen.«
O je, Mr. Dunne, dachte Nick, das war die falsche Antwort. Er nahm Fionas Jacke vom Hocker und setzte sich, um ihren Ausbruch zu beobachten.
Fiona blieb noch einen Moment stehen, starrte wütend auf Dunnes Füße, dann nahm sie einen Schraubenzieher, kroch unter das Förderband und robbte auf das Zentrum der Maschine zu. Ihr Rock blieb an einem Nagel im Dielenbrett hängen, sie riß ihn los, so daß er zerschliß. Nick zuckte zusammen. Es war handgewebte venezianische Seide, von Worth in Paris geschneidert. Na schön.
Nach ein paar heftigen Flüchen und einem Aufschrei herrschte ein paar Minuten Stille, bis ein Triumphgeschrei zu hören war. »Laßt sie an!« Das Monster ratterte wieder los. Fiona kam unter dem Gewirr aus Röhren und Zylinder herausgekrochen. Nick sah, daß ihre Wange mit Öl verschmiert war und ihre Hand blutete. Wieder rollten Dosen heraus. Sie ließ den Schraubenschlüssel fallen, ergriff die erste und inspizierte rasch ihren Inhalt. Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht.
»Ja!« rief sie und warf sie lachend in die Höhe. »Ja! Ja! Ja! Wir haben’s geschafft!« Als eine Flut kleiner Beutel herabregnete, entdeckte sie Nick. Mit einem Freudenschrei ergriff sie einen und lief zu ihm. Sie setzte sich auf eine Teekiste und ließ den Musselinbeutel vor seinem Gesicht baumeln, der, wie er jetzt bemerkte, mit Tee gefüllt war. Der Beutel hing an einem Faden, der mit einer winzigen Metallklammer befestigt war, und am Ende des Fadens befand sich ein roter Papieranhänger, auf den die Worte »TasTea Schnelle Tasse« gedruckt waren.
»Es ist großartig, Liebling. Einfach umwerfend. Aber was um Himmels willen ist das?« fragte er, während er ihr mit seinem Taschentuch das Blut von der Hand wischte. Es war über ihre Finger getropft, auf ihren mit Diamanten besetzten Ehering und den riesigen, zehnkarätigen Brillanten, den er ihr zum ersten Hochzeitstag geschenkt hatte. Angesichts ihrer Hände runzelte er die Stirn. Sie waren rauh, schmutzig, voller Schrunden und gehörten einer Scheuerfrau, einer Wäscherin, nicht der reichsten Frau von New York. Einer Frau, die den größten, einträglichsten Teekonzern des Landes besaß sowie fünfunddreißig Teesalons und über hundert Delikatessenläden.
Ungeduldig zog Fiona ihre Hand zurück. »Das ist ein Teebeutel, Nick!« erklärte sie aufgeregt. »Er wird die ganze Branche revolutionieren! Du hängst ihn einfach in eine Tasse, gibst heißes Wasser drauf, rührst um und fertig. Das ist alles. Du mußt keine Teekannen mehr reinigen oder mehr Tee machen, als du brauchst.«
»Klingt ausgesprochen effizient und amerikanisch«, merkte Nick anerkennend an.
»Genau!« rief Fiona aus und sprang auf. »Das alles heißt Zeitersparnis und Leistung, verstehst du? ›Ein neuer Tee für ein neues Jahrhundert!‹ Gefällt dir das? Es stammt von Nate. Er möchte junge Leute ansprechen – moderne Menschen, die Tee eigentlich langweilig finden – und einen ganz neuen Markt erobern. Nick, du solltest Maddies Zeichnungen sehen! Auf einer ist eine Schauspielerin zu sehen, die in ihrer Garderobe eine Schnelle Tasse trinkt. Und dann gibt es
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