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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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oder zwei Leichen von Prostituierten gesehen, die erdrosselt oder erstochen worden waren, und jeder hatte sich gefragt, ob es Jacks Werk war. Hatte er gelernt, seine zwanghaften Triebe zu kontrollieren? Gab er ihnen weniger häufig nach? War er zu anderen Methoden übergegangen? Die Polizeioberen bemühten sich, diese Morde geheimzuhalten. Der Fall sei abgeschlossen, behaupteten sie. Der Ripper sei tot.
    »Ich denke, wir sollten die Sache auf sich beruhen lassen«, sagte McPherson. »Wahrscheinlich werden wir es nie herausbekommen und müssen das Ganze unter nicht aufgeklärte Fälle ablegen.«
    Roddy nickte. Nicht aufgeklärte Fälle. Das war ein Aspekt seiner Arbeit, auf den er nicht vorbereitet gewesen war. Einen Mann in die Enge zu treiben und wie man vorging, wenn man in der Minderheit war – das konnte man lernen. Aber es gab kein Training für unaufgeklärte Fälle. Für Sackgassen. Versagen. Als junger Mann weigerte er sich, das zu akzeptieren, und glaubte, wenn er nur härter arbeitete, würde er jeden Fall lösen. Er würde den Schlüssel finden, das übersehene Detail, das ihm helfen würde, den Dieb, den Kinderschänder, den Mörder zu fangen. Im Lauf der Jahre hatte er etwas anderes lernen müssen: daß es manchmal keinen Schlüssel gab, daß die Verbrecher zuweilen gerissen waren. Oder Glück hatten. Nach vielen Jahren hatte er gelernt, am Ende eines Tages seine Frau zu küssen, seine Kinder zu Bett zu bringen und dennoch zu wissen, daß Räuber Überfälle begingen, Frauen geschlagen wurden und Mörder frei herumliefen. Er hatte viele Lehrer gehabt, aber keinen besseren als Jack.
    »Ich mach mich dann wieder auf den Weg«, sagte McPherson. »Die Brick Lane runter. Die malerische Route. Gute Nacht, Sergeant. Kommen Sie gut heim.«
    »Sie auch, McPherson.«
    Roddy ging weiter nach Osten. Beim Gehen schwang er seinen Schlagstock und war tief in alte Erinnerungen versunken. In einer Nacht wie dieser war die Vergangenheit nicht weit weg, sondern so gegenwärtig wie die Pflastersteine unter seinen Schritten und die kalte Luft, die er einatmete. Er tröstete sich damit, daß all das Leid wenigstens ein Gutes gehabt hatte – daß Fiona und Seamie von hier entkommen waren und in New York ein neues Leben führten.
    Gerade hatte er eine Weihnachtskarte von Fiona bekommen, der ein Bild von ihr, von ihrem Mann Nicholas und Seamie beigelegt war. Sie war ein schöne Frau geworden, aber schließlich war sie schon immer ein hübsches Mädchen gewesen. Und Seamie war jetzt ein junger Mann. Groß und gutaussehend. Roddy war so glücklich gewesen, als er die Karte bekam. Er freute sich immer, wenn Briefe und Fotos von ihr eintrafen. Es freute ihn, wenn er sich vorstellte, was aus ihr geworden war. Eine Teehändlerin! Die größte in ganz Amerika!
    Ihr Mann war ein feiner Pinkel, das erkannte Roddy auf den ersten Blick, aber sie schrieb, daß er sehr gut zu ihr sei und daß sie ihn sehr lieb habe. Wie es aussah, hatte sie es mit diesem Burschen weitaus besser getroffen, als es mit Joe Bristow der Fall gewesen wäre. Manchmal war er noch wütend auf Joe, aber eigentlich hatte sich sein Zorn auf ihn längst gelegt.
    Noch immer sah er das Gesicht des Jungen vor sich, als er aus New York zurückkam. Hohl und leer, als hätte man ihm das Herz herausgerissen. Er hatte Roddy vier Pfund zurückgegeben, die übriggeblieben waren, und versprochen, den Rest zurückzuzahlen. Und er hatte eine Zeitung mitgebracht, in der Fiona und ihr Mann abgebildet waren und die alles über die Hochzeit enthielt. Roddy ließ ihn auf ein Glas Whiskey eintreten und besaß nicht den Mut, ihm zu gestehen, daß er zwei Tage nach seiner Abreise einen Brief von Fiona bekommen hatte. Danach hatte er ihn nicht oft gesehen, außer bei den paar Malen, als er vorbeikam, um seine Schulden abzubezahlen.
    In all den Briefen, die er im Lauf der Jahre von Fiona erhalten hatte, erkundigte sie sich nie nach Joe. Und Roddy erwähnte ihn nie. Wozu alte Wunden aufreißen? Er hatte auch Bowler Sheehans Behauptung nie erwähnt, daß sie Geld von William Burton gestohlen habe. Die ganze Sache ergab immer noch keinen rechten Sinn für ihn, aber nachdem er erfahren hatte, daß sie in New York war, machte er sich keine Sorgen mehr, daß Sheehan ihr etwas antun könnte. Er kannte sie nur als ehrlichen Menschen, aber vielleicht war sie so verzweifelt gewesen fortzukommen, daß sie Burton um ein paar Pfund erleichtert hatte. Na und? Er hatte mehr als genug.
    In jedem seiner

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