Die Teerose
ihnen auf den Fersen war und sie nicht aus den Augen verlor.
»n’Abend, Sir«, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit.
Roddy spähte in den Nebel und sah eine gedrungene Gestalt auf sich zukommen – mit Helm und Messingknöpfen auf dem blauen Jackett. Er lächelte. Es war McPherson. Seit fünfundzwanzig Jahren bei der Polizei und noch immer im Streifendienst. Nicht weil er nicht hätte aufsteigen können. Er war einer der fähigsten Polizisten, die Roddy kannte, und hätte schon oft befördert werden sollen, aber er hatte immer abgelehnt. Er wollte mit den Plagen und Frustrationen des höheren Diensts nichts zu tun haben.
»Ruhige Nacht, Constable?« fragte er
»Zum größten Teil schon. Und bei Ihnen?«
»Hab eine Frau abgehalten, einer anderen das Gesicht zu verunstalten«, erwiderte Roddy beiläufig.
»Wirklich?«
»Ja.«
McPherson lachte. »Sie sind mir einer, Sergeant. Die meisten von uns können’s nicht erwarten, von der Straße wegzukommen, und Sie wollen ums Verrecken nicht weg davon. Sie sind auf dem Heimweg, was?«
»Ja. Ich wollt noch einen kleinen Umweg machen, die Augen offen halten.«
»Mir ist gerade was Interessantes untergekommen.«
»Ach ja?«
»Sid Malone und Denny Quinn, die aus dem Taj kamen.«
Roddy runzelte die Stirn »Malone? Der Kerl aus Lambeth?«
»Genau der.«
»Whitechapel ist doch ziemlich weit weg für ihn. Frag mich nur, was er hier vorhat?«
»Sicher nichts Gutes.«
»Wie sieht er denn aus?«
McPherson zuckte die Achseln. »Wie alle Londoner Kriminellen. Groß. Stark. Als wollte er einen abmurksen, wenn man bloß den Blick auf ihn wirft. Kennen Sie ihn nicht?«
»Vielleicht hab ich ihn vor Jahren mal gesehen.« Roddy erinnerte sich, daß Charlie Finnegan mit einem Burschen namens Sid Malone in der Brauerei gearbeitet hatte und daß der Typ versucht hatte, Fiona anzugrapschen. Danach hatte er ihm einen kurzen Besuch abgestattet und ihm geraten, sie nicht mehr zu belästigen. Der Sid Malone, an den er sich erinnerte, war ein Maulheld, und Maulhelden legten sich mit Leuten an, die schwächer waren als sie selbst. Der Sid Malone, der das Taj besucht hatte, legte sich mit einem Stärkeren an. Einem wesentlich Stärkeren.
»Wie ich höre, ist er unten am Südufer tätig«, sagte McPherson. »Vielleicht hat er vor, seine Geschäfte in unserer Nachbarschaft zu betreiben.«
»Möglicherweise. Hören Sie sich weiter um.«
»Das werde ich. Sie gehen nach Norden, Sergeant? Werfen Sie doch mal einen Blick auf die Teefabrik. Ein Feuer hat fast die ganze Straße abgebrannt. An die vierzig Familien sind obdachlos geworden. Offiziell soll’s ein Stadtstreicher gewesen sein, der dort drinnen geraucht hat. Er soll eingeschlafen sein und das ganze Gebäude in Brand gesteckt haben.«
Roddy spuckte aus. Er hatte einen schlechten Geschmack im Mund. »Inoffiziell heißt’s, Bowler Sheehan sei’s gewesen. Sicher können wir ihm nichts nachweisen. Angeblich hat keiner was gehört und gesehen. Wie üblich.«
»Sheehan ist unter die Brandstifter gegangen?«
»Er macht die Drecksarbeit für den Besitzer des Anwesens. Für William Burton. Ein Makler, mit dem ich geredet hab, behauptet, Burton hätte das Gebäude jahrelang zum Verkauf angeboten. Ich schätze, daß er Sheehan angeheuert hat, um die Versicherung zu erleichtern.«
»Jedenfalls hat er sich eine gute Nacht für ein Feuer ausgesucht. Schön trocken. Nicht wie heut nacht.« Er rieb sich die Hände. »Das ist ein Wetter für den Ripper.«
»Ja, das ist wahr. In letzter Zeit hab ich nicht mehr oft von ihm geredet. Das Thema ist bei mir zu Haus verboten.«
»Bei mir auch.«
Roddy wünschte, er könnte glauben, was er glauben sollte – daß Montague Druitt, der junge Anwalt, dessen Leiche die Polizei im Jahr 1888 aus der Themse gefischt hatte, der Mörder war.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte McPherson: »Alles Quatsch, die Behauptung von Scotland Yard, daß Druitt der Ripper gewesen sein soll. Ich hab’s nie geglaubt.«
Roddy sah ihn lange an. »Ich auch nicht. Nichts paßt zusammen. Der Bursche hatte einen schweren Sprung in der Schüssel, aber er war kein Mörder. Ist nie gewalttätig gewesen. Und er kannte sich in Whitechapel nicht aus.«
»Nicht so wie Jack sich auskannte.«
»Oder sich immer noch auskennt«, sagte Roddy leise.
Beide Männer waren der Ansicht, daß Jack the Ripper immer noch irgendwo unterwegs war und nur auf den richtigen Moment wartete. Jeder der beiden hatte im Lauf der Jahre ein
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