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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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dem Metropolitan Museum abgeworben hatte, nachdem Eckhardt ihm erklärt hatte, daß er nicht mehr arbeiten dürfe. Zu seiner Erleichterung sah er, daß sein Täuschungsmanöver funktionierte. Der besorgte Ausdruck in Fionas Gesicht war verschwunden. Er fragte sie, ob sie zum Abendessen heimkomme. Sie bejahte. Dann küßte er sie zum Abschied und schickte sie an ihre Arbeit zurück.
    Die Schmerzen in seiner Brust waren inzwischen unerträglich geworden. Langsam ging er zu seiner Kutsche. Er stieg ein und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Schließlich gelang es ihm, in seine Brusttasche zu greifen und aus einer kleinen Flasche eine weiße Pille zu nehmen. Sie würde sein jagendes Herz beruhigen, das wie ein angeschossener Vogel in seinem Brustkorb flatterte. »Komm schon«, stöhnte er. »Tu was.«
    Nach einer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, hielt die Kutsche vor dem palastartigen Herrenhaus auf der Fifth Avenue, in dem er mit Fiona wohnte. Er stieg aus, hielt sich an der Balustrade neben der Eingangstreppe fest, und seine zitternde Hand zeichnete sich blau vor dem weißen Marmor ab. Die Tür ging auf. Er blickte auf und sah Foster, seinen Butler. Dann hörte er, wie die übliche Begrüßung des Mannes mit einem besorgten Aufschrei endete. »Sir! Um Gottes willen … lassen Sie mich Ihnen helfen …«
    Nick spürte, wie seine Knie weich wurden, als der Schmerz in seiner Brust explodierte und ihn in gleißend weißes Licht hüllte. »Foster, holen Sie Dr. Eckhardt«, schaffte er hervorzustoßen, bevor er zusammenbrach.
     
    Mit gerafften Röcken stieg Fiona Finnegan-Soames vorsichtig über das Gewirr von Gleisen, die ihre Teefabrik von der West Street trennten. Ein junger Nachtwächter, vielleicht achtzehn Jahre alt, folgte ihr.
    »Kann ich Ihnen keine Droschke besorgen, Mrs. Soames?« fragte er. »Sie sollten nicht allein auf die Straße gehen. Es ist dunkel, und um diese Zeit sind alle möglichen zwielichtigen Gestalten unterwegs.«
    »Schon gut, Tom«, antwortete Fiona und lächelte über seine Besorgnis. »Ich muß mir heute ein bißchen Bewegung verschaffen. Die neue Maschine hat mich ziemlich aufgeregt.«
    »Sie ist wirklich großartig, nicht? Hundert Beutel in der Minute, hat mir Mr. Bryce gesagt. So was wie sie hab ich noch nicht gesehen.«
    »Das stimmt«, sagte Fiona. »Gute Nacht, Tom«, fügte sie hinzu und trat auf die Straße hinaus.
    Nachdem sie die West Street überquert hatte, wo sie geschickt den Kutschen, Karren und gelegentlichen Automobilen auswich, ging sie mit ihrem üblichen schnellen Schritt, hoch erhobenem Kopf, zurückgeworfenen Schultern und furchtlosem Blick weiter. Diese Direktheit – nicht nur im Blick, sondern in Sprache, Forderungen und Erwartungen, ihre ganze Art – war ihr Markenzeichen geworden. Sie war für ihre Fähigkeit bekannt, das aufgeblasene Getue von Bankiers und Geschäftsleuten zu durchschauen und alle Fehler in den Rechnungen der Lieferanten aufzuspüren. Die Unsicherheit der früheren Jugendjahre war verschwunden und hatte einem unerschütterlichen Selbstvertrauen Platz gemacht, das aus harter Arbeit und Erfolg, aus vielen gewonnenen Schlachten entstanden war.
    Als sie die Ostseite der Straße erreichte, drehte sie sich um, um einen letzten Blick auf ihre Fabrik zu werfen. Sie war erfreut über das, was sie in zehn Jahren Arbeit zuwege gebracht hatte: riesige rote Frachtzüge, jeder mit dem weißen TasTea-Logo darauf, und das massige Gebäude, das sich darüber erhob. Hinter dem Gebäude befanden sich die TasTea-Docks mit einer ganzen Flotte von Frachtschiffen, die im Morgengrauen mit der Flut auslaufen würden. Einige würden über den Fluß nach New Jersey, andere in die aufstrebenden Städte entlang des Hudsons fahren, nach Rhinebeck, Albany und Troy. Andere würden noch weiter segeln, den Erie-Kanal hinauf zum Lake Ontario, wo große Frachter warteten, um ihren Tee in die geschäftigen Städte entlang der Großen Seen zu bringen, den Zugangstoren zu den aufblühenden Staaten des Nordwestens.
    Die meisten Frauen hätten an einer Fabrikanlage am Hafen kein Vergnügen gefunden, aber für Fiona war sie der Inbegriff an Schönheit. Besorgt runzelte sie die Stirn, als sie an ihre neue Maschine dachte und was sie sich von ihr erwartete. Sie hatte ein Vermögen dafür bezahlt und würde noch mehr ausgeben. Für lokale und nationale Anzeigenkampagnen, für Verpackung, Werbung und neue Verteilungswege. Bei jedem neuen Schritt mußten sie, Stuart und Nate

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