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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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sich etwas Neues einfallen lassen. Im Lauf des kommenden Jahrs würde sie eine Menge Geld in dieses neue Unternehmen pumpen. Also mußte es sich rentieren.
    Sie holte tief Luft. Ach, welche Möglichkeiten die neue Maschine doch barg! Wenn sich die Schnelle Tasse in den Vereinigten Staaten gut verkaufte, würde sie sie in Kanada und schließlich in England und Frankreich einführen – auf Märkten, die für eine neue Art des Teetrinkens reif waren – und ihren Umsatz verdrei-, ja sogar vervierfachen.
    An der Jane Street vorbei ging sie weiter nach Norden und beschleunigte unbewußt ihre Schritte, um das aufgeregte Kribbeln in ihrem Inneren zu dämpfen. Ich sollte doch lieber eine Droschke nehmen, dachte sie, um Nick nicht so lange warten zu lassen. Aber sie war immer noch aufgewühlt und konnte den Gedanken nicht ertragen, in einer stickigen Kutsche zu fahren. Gleichzeitig spürte sie noch eine andere Bedrückung. Unterhalb des Kribbelns gab es eine tiefere Furcht – die Angst um Nicks Wohlergehen.
    Der Schmerz, der ihn heute in der Fabrik befallen hatte – war das wirklich sein Rücken oder doch sein Herz gewesen? Seine Hand war an die Brust gefahren. Und er rieb sich immer die Brust, wenn er Schmerzen hatte. Aber er hätte doch die Medizin genommen, die ihm Dr. Eckhardt verordnet hatte. Die sollte er beim ersten Anzeichen von Unwohlsein nehmen, und in solchen Dingen war er sehr gewissenhaft. Fionas gerunzelte Stirn glättete sich ein wenig, ihre Schultern entspannten sich. Er hatte ein bißchen blaß ausgesehen, ein bißchen müde, aber das war zu erwarten. Schließlich war er ernstlich krank. »Aber ihm geht’s gut«, sagte sie laut. »Bestimmt.«
    Während der letzten zehn Jahre hatte sich Fiona um Nicks Gesundheit gekümmert, so gut sie konnte. Sie hatte darauf geachtet, daß er gut aß – nicht nur Champagner und Kaviar wie früher. Sie achtete darauf, daß er genügend Ruhe und die notwendige Bewegung bekam. Und einmal, aufgrund der falschen Annahme, daß es jemanden geben mußte, der Syphilis kurieren, nicht bloß behandeln konnte, hatte sie statt Dr. Eckhardt eine Reihe von Ärzten aus Amerika und Europa engagiert, um ihn zu untersuchen.
    Nick hatte sich gefügt und die endlosen Untersuchungen des ersten halben Dutzends Ärzte hingenommen, die sie auf ihn hetzte. Er fand sich mit stinkenden Umschlägen und scheußlichen Tinkturen ab. Er ließ Heilbäder über sich ergehen – Sitzbäder, Dampfbäder, Luftbäder, Massagen – einen kahlrasierten Kopf, offene Fenster im Dezember und lange Unterhosen im Juli. Doch als der siebte Arzt ihn auf eine Diät setzte, die nur aus gekochtem Blumenkohl und Selleriesaft bestand, und ihm verbieten wollte, Musik auf seinem neu erstandenen Grammophon zu hören, da diese seine Nerven angeblich zu sehr anstrengte, hatte der Patient nicht mehr mitgemacht. Er erklärte Fiona, daß die Quacksalber seinen Tod nur beschleunigten, und forderte Eckhardts umgehende Wiedereinsetzung in seine Pflichten.
    Reumütig hatte sie sich bei dem deutschen Arzt entschuldigt und ihn angefleht zurückzukommen. Was dieser ohne viel Umstände und Vorhaltungen getan hatte. Als sie ihm dafür danken wollte, winkte er ungeduldig ab. Als Spezialist für die physischen Leiden des menschlichen Herzens besaß Eckhardt gleichzeitig ein tiefes Verständnis für dessen psychische Nöte. »Hüten Sie sich davor, sich allzu große Hoffnungen zu machen«, warnte er sie. »Es ist die Hoffnung, nicht die Verzweiflung, die uns alle zugrunde richtet.«
    Eckhardt konnte sagen, was er wollte, sie würde nicht aufhören zu hoffen. Und er würde weiterhin gut auf ihren geliebten Nicholas achten. Auch wenn er die Krankheit nicht zum Stillstand bringen konnte, schaffte er es doch wenigstens, ihre Symptome zu verlangsamen. Sie hatte bis jetzt weder Nicks Gehirn noch Nervensystem ergriffen, wie Eckhardt ursprünglich befürchtet hatte. Sie hatte sich in seinem Herzen festgesetzt und war dort geblieben. Und soweit sie es beurteilen konnte, hatte sie sich nicht wesentlich weiter ausgebreitet seit dem Tag, an dem sie ihn todkrank bei Mrs. Mackie gefunden hatte. Ihm wird nichts passieren, beruhigte sie sich. Ihm ging’s gut, und das würde auch so bleiben. Alles andere war undenkbar, weil sie es nicht ertrug, ihren besten Freund, ihren Mann zu verlieren.
    Sie lächelte, als sie sich an die ersten Jahre ihrer verrückten Ehe erinnerte. Sie lebten in Nicks Wohnung über der Kunstgalerie und dem Tea Rose. Sie verbrachte

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