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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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»Handlanger des Satans nennt sie die armen hingemeuchelten Frauen und findet, daß sie ihr Schicksal verdient haben, weil sie Huren waren. Sie hat gut reden in ihrem gemütlichen warmen Haus und mit ihrem Haufen Geld.« Lillie hielt inne, um sich mit einem Schluck Tee zu beruhigen. »Na ja, hat ja keinen Wert, sich über die gnädige Frau aufzuregen. Wie meine Oma immer gesagt hat: Moral ist für die, die sich’s leisten können. Und überhaupt machen mir die Morde keine Sorgen, Mrs. Finnegan, sondern das, was in den Docks unten vor sich geht.«
    »Wem sagst du das.«
    »Sie machen’s schon richtig, das weiß ich. Aber wenn’s zum Streik kommt, müssen Matt und ich vielleicht noch lange warten, bis wir heiraten können«, sagte Lillie bedrückt. »Vielleicht noch mal ein Jahr.«
    Kate tätschelte ihre Hand. »So lang bestimmt nicht, Liebes, mach dir keine Sorgen. Und selbst wenn’s ein bißchen länger dauert, als du gedacht hast, dein Matt ist ein guter Junge. Er ist’s wert zu warten.«
    Während sie Lillie beruhigte, hörten sich Kates Worte gelassener an, als sie sich fühlte. Paddy glaubte, daß ein Streik unvermeidlich war, es stellte sich nur die Frage, wann er stattfand. Erst letzte Woche hatte sie sich mit Papier und Bleistift hingesetzt und auszurechnen versucht, wie lange sie durchhalten könnten, wenn er nicht mehr zur Arbeit in den Docks ging. Ein paar Tage. Höchstens eine Woche.
    Gewöhnlich bekam er sechsundzwanzig Shilling die Woche für etwa sechzig Stunden Ladearbeit. Ein bißchen mehr, wenn viel los war am Kai, weniger, wenn nicht. Oft verdiente er nebenbei noch ein paar Shilling, wenn er die Schicht von einem Nachtwächter übernahm oder beim Wiegen des Tees half – für die Sortierer die Kisten ablud und die Teeblätter zusammenrechte –, womit er auf ungefähr neunundzwanzig Shilling kam. Zwei behielt er für Bier, Tabak und Zeitungen, einen für die Gewerkschaft, und den Rest gab er Kate, deren Aufgabe darin bestand, möglichst lange damit auszukommen.
    Sie unterstützte die Familie, indem sie Wäsche zum Waschen annahm, was ihr nach Abzug von Seife und Stärke vier Shilling die Woche einbrachte, und indem sie Roddy ein Zimmer vermietete und sein Essen kochte – wofür er fünf Shilling die Woche bezahlte. Dazu kam Charlies Lohn von etwa elf Shilling und Fionas sieben, abzüglich dessen, was sie einbehielten – Charlie für Bier und Zigaretten, Fiona für ihren Laden –, so daß ihr etwa zwölf blieben.
    In den wöchentlichen Ausgaben waren die achtzehn Shilling Miete enthalten. Das Haus war sehr teuer – viele Familien mieteten nur ein Stockwerk für acht oder zehn Shilling, aber es war ein warmes, trockenes Haus ohne Ungeziefer, und Kate war überzeugt, daß man am falschen Ende sparte, wenn man sich eng zusammenpferchte, denn was man an Miete einsparte, gab man für Ärzte und verlorene Arbeitsstunden wieder aus. Dann mußte Kohle gekauft werden – im Moment für einen Shilling die Woche, aber die würde im Winter auf zwei steigen, und Lampenöl – noch einmal sechs Pence.
    Also blieben etwa ein Pfund und acht oder neun Pence, womit sie nicht kochen konnte, was sie wollte, selbst wenn sie alles dafür ausgegeben hätte. Doch sie beschränkte sich auf zwanzig Shilling die Woche, um davon Fleisch, Fisch, Kartoffeln, Obst, Gemüse, Mehl, Brot, Porridge, Talg, Milch, Eier, Tee, Zucker, Butter, Marmelade und Sirup zu kaufen, woraus sie täglich drei Mahlzeiten für sechs Personen kochte – das Baby nicht mitgerechnet. Ein Shilling wurde für die Bestattungsversicherung beiseite gelegt und ein weiterer für Kleider – in eine Sparbüchse, in die sie jede Woche einen Shilling steckte, falls eines Tages der Mantel oder die Stiefel eines Familienmitglieds kaputtgingen, und zwei weitere für die Streikkasse. Damit hatte sie vor zwei Monaten begonnen und legte jetzt jede Woche die Münzen hinzu, selbst wenn sie beim Essen knausern mußte, um sie zusammenzubekommen. Damit blieben etwa vier Shilling, um alles andere abzudecken: Arztrechnungen, Schuhwichse, Zwieback, Halspastillen, Streichhölzer, Nadeln und Flicken, Kragen, Seife, Tonikum, Briefmarken und Wundpflaster. Oft waren am Samstag nur ein paar Pennys übrig.
    Sie und Paddy hatten schwer geschuftet, um ihren jetzigen Lebensstandard zu erreichen. Er hatte es in den Docks inzwischen zu einer privilegierten Stellung gebracht und war ein Mann mit fester Anstellung geworden. Er war nicht mehr Gelegenheitsarbeiter wie damals, als sie

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