Die Teerose
Bei Peterson’s verdien ich das Doppelte wie bei meinem Vater. Ich könnt’ viel mehr Geld für unseren Laden beiseite legen als je zuvor. Und ich würd’ Sachen lernen, die wir brauchen können, wenn wir unser Geschäft aufmachen.« Er drückte ihre Hand. »Verstehst du denn nicht, wie uns das helfen könnte?«
Fiona nickte, sie verstand es. Trotz ihres anfänglichen Zorns begriff sie, daß er recht hatte – es war der richtige Schritt, auch wenn er schwerfiel. Alles, was ihnen half, schneller zu ihrem Laden zu kommen, war richtig. Dennoch war sie traurig. Der Plan mochte ja durchaus vernünftig sein, aber er brach ihr das Herz.
»Wann gehst du fort?«
»Morgen.«
»Mist.«
»Schau nicht so traurig, Schatz«, sagte er und versuchte, sie aufzuheitern. Es ist ja nicht für immer, und ich komm so bald ich kann zurück. Und dann bring ich dir was mit, ja?«
»Dich selbst. Das ist alles, was ich will. Und versprich, daß du nicht auf Millie reinfällst. Ich bin sicher, daß sie Gründe findet, um ab und an in Covent Garden aufzutauchen, um dich herumzuscharwenzeln und dir schöne Augen zu machen«, sagte sie.
»Sei nicht albern.«
Sie hüpfte die Steinstufen hinab und ging flußabwärts in Richtung Orient Wharf. Sie beugte sich hinunter, um eine Handvoll Steine aufzuheben, die sie übers Wasser springen lassen wollte, hielt aber plötzlich inne. Sie war egoistisch gewesen, hatte nur an sich selbst gedacht. Sie sollte ihn unterstützen, es würde nicht leicht für ihn werden. Die Arbeit in Covent Garden wäre zwar neu und aufregend, aber auch hart. So wie sie Tommy Peterson kannte, müßte er rund um die Uhr schuften.
Joe folgte ihr und begann ebenfalls, Steine übers Wasser hüpfen zu lassen. Nachdem er eine Handvoll geworfen hatte, bückte er sich erneut. Ein Stein, der tief im Flußschlamm steckte, löste sich mit laut schmatzendem Geräusch. In dem Bruchteil einer Sekunde, bevor sich das schlammige Loch wieder mit Wasser füllte, sah er etwas Blaues glitzern. Er ließ den Stein fallen, griff in den feuchten Schlamm, und seine Finger ertasteten einen kleinen, harten Klumpen. Er zog ihn heraus.
»Schau, Fee«, sagte er, als er ihn abwusch. Fiona sah hinab. Er hielt einen glatten ovalen Stein in der Hand, flach an der Unterseite, gewölbt an der oberen. Eine lange Kerbe verlief von der Oberkante bis zur Mitte, wo sie sich in zwei Linien gabelte, die zu den Seiten ausschwangen. Der Stein war indigoblau und knapp drei Zentimeter lang. Als er trocknete, war seine Oberfläche matt, weil Sand und Wasser ihn beständig abgeschliffen hatten.
»Was für ein hübsches Blau«, sagte Fiona.
»Ich weiß nicht, wo das herstammt. Vielleicht der Boden einer alten Medizinflasche«, sagte er und runzelte die Stirn, als er den Stein zwischen Daumen und Zeigefinger drehte. Dann nahm er Fionas Hand, legte ihn hinein und schloß ihre Finger darum. »Da. Ein Juwel aus dem Fluß für dich. Mehr besitz ich im Moment nicht, aber eines Tages hab ich was Besseres für dich, das versprech ich.«
Fiona öffnete die Hand, betrachtete eingehend ihren Schatz und freute sich darüber. Sie würde ihn immer bei sich tragen, nachdem Joe fort war. Wenn sie sich einsam fühlte, konnte sie die Hand in die Tasche stecken, und er wäre da und würde sie an ihn erinnern.
»Fiona …«
»Hmm?« antwortete sie, gefesselt von dem Stein.
»Ich liebe dich.«
Sie sah ihn verblüfft an. Das hatte er noch nie gesagt. Noch nie hatten sie sich gestanden, was sie füreinander empfanden. In ihren Kreisen trug man das Herz nicht auf der Zunge, wenn es um Gefühle ging. Er liebte sie. Das hatte sie immer gewußt und nie bezweifelt, dennoch, diese Worte aus seinem Mund zu hören …
»Ich liebe dich«, wiederholte er, diesmal fast grimmig. »Also paß auf dich auf, wenn ich’s schon nicht kann. Keine Abkürzungen auf dem Heimweg von Burton’s. Keine dunklen Gassen. Du kannst auf der Cannon Street bleiben und dann schnell den Highway überqueren. Keine Besuche am Fluß, außer du triffst dich mit deinem Vater. Und du achtest darauf, daß du bei Dunkelheit im Haus bist, solange dieser Unhold noch frei rumläuft.«
Plötzlich war ihre Traurigkeit unerträglich geworden. Erneut standen Tränen in ihren Augen. Er ging bloß ans andere Ende von London, ins West End, und doch könnte er geradesogut nach China fahren. Sie konnte nicht dorthin, weil sie kein Geld für den Bus hatte. Sie wagte nicht, sich vorzustellen, wie die künftigen Tage aussehen würden.
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