Die Teerose
auf das Thema zu kommen, das ihn beschäftigte. »Ich hoffe bloß, unsere Ma findet das nicht raus«, antwortete sie. »Sie würde ihn an den Ohren rausziehen.«
»Was macht er mit seinem Gewinn?«
»Ich glaub, er spart für eine Überfahrt nach Amerika. Er möchte für den Bruder von unserem Pa in New York arbeiten …«
»Fiona …«, unterbrach sie Joe und ergriff ihre Hand.
»Ja?«
»Ich hab dich gebeten mitzukommen, weil ich dir sagen will, daß ich …« Er zögerte. »Es besteht die Chance, daß ich … da gibt’s eine Arbeit, verstehst du …« Er hielt wieder inne und scharrte mit den Füßen an der Stufe unter ihm. Er sah auf das schwappende Wasser, holte tief Luft und platzte dann heraus: »Es ist nichts Gutes. Dir wird nicht gefallen, was ich zu sagen hab, egal, wie ich’s wende: Tommy Peterson hat mir eine Stelle angeboten, und ich hab zugesagt.«
»Du hast was?« fragte sie verblüfft.
»Ich hab den Job angenommen.« Er redete schnell weiter. »Die Bezahlung ist gut, Fee, viel mehr, als ich auf dem Markt bei meinem Vater verdiene …«
»Du hast eine Stelle bei Tommy Peterson angenommen? Bei Millies Vater?«
»Ja, aber …«
»Also wird’s nichts mit unserem Laden?« fragte sie zornig und entzog ihm ihre Hand. »Willst du mir das sagen?»
»Nein, nein, das will ich dir nicht sagen. Ach Mist, Fiona! Ich hab gewußt, daß du’s mir schwerer machst als nötig. Also sei still und hör mir zu.«
Sie starrte auf den Fluß hinaus und weigerte sich, ihn anzusehen. Da hatte Millie Peterson die Finger im Spiel, das war klar. Joe faßte sie am Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. Sie schlug seine Hand weg.
»Ich würd so ziemlich das gleiche machen wie jetzt auch – Waren verkaufen«, erklärte er. »Tommy hat mich am Wagen von meinem Vater arbeiten sehen, und meine Art hat ihm gefallen. Bloß daß ich an andere Kunden verkaufen würd, nicht auf der Straße …«
Fiona sah ihn starr an und erwiderte nichts.
»… und ich könnt eine Menge über den Großhandel lernen – wie man mit den Erzeugern verhandelt. Mit den Farmern in Jersey und Kent. Mit den Franzosen. Ich könnt sehen, wie Einkauf und Verkauf auf dem größten Markt von London ablaufen, und …«
»Wo? In Spitalfields?« unterbrach ihn Fiona und meinte den nahe gelegenen Markt.
»Na ja, das ist das andere, was ich dir sagen muß. Ich wär nicht bei Peterson in Spitalfields beschäftigt. Er möchte mich in Covent Garden haben.«
»Also gehst du aus der Montague Street weg«, sagte sie niedergeschlagen.
»Das geht nicht anders, Fee. Wir fangen früh um vier an. Ich müßt um zwei aus Whitechapel fort, um rechtzeitig dort zu sein. Und mit den Erntetransporten, die jetzt alle Stunde ankommen, arbeiten wir bis tief in die Nacht rein. Da muß ich sehen, wann ich überhaupt zum Schlafen komme.«
»Wo?«
»In einem Zimmer, das Peterson in seinem Lager am Markt hat. Über den Büros.«
»Komplett mit Bett, Waschtisch und Tochter.«
»Das teil ich mir mit seinem Neffen, einem Burschen in meinem Alter. Es kostet mich keinen Penny.«
Fiona antwortete nicht, sondern starrte wieder auf den Fluß hinaus.
»Der Job könnte mir weiterhelfen, Fee. Warum bist du denn so dagegen?«
Warum wohl? fragte sich Fiona und hielt den Blick auf einen Lastkahn gerichtet. Weil du mein ganzes Leben lang nicht aus der Montague Street weggewesen bist, weil mein Herz jedesmal einen Freudensprung macht, wenn ich dich sehe, weil dein Gesicht, dein Lächeln, deine Stimme dem Ort die Trübsal nehmen, weil unsere Träume mir Hoffnung geben und alles erträglich machen. Deshalb.
Sie schluckte schwer und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. »Es kommt halt so plötzlich. Du nimmst eine neue Stelle an und ziehst weg. Dann bist du nicht mehr gleich unten an der Straße auf dem Markt. Wer sitzt dann hier am Samstag nach der Arbeit mit mir … und …« Ihre Stimme versagte.
»Fiona, sieh mich an«, sagte Joe und wischte ihr eine Träne von der Wange. Sie wandte sich ihm zu, blickte ihm aber nicht in die Augen. »Ich hab den Job nicht aus einer Laune raus angenommen. Peterson hat ihn mir vor zwei Tagen angeboten, und seitdem hab ich ständig hin und her überlegt und mich gefragt, was das Beste wär. Nicht für mich, für uns. Und das ist der Job. Ich kann nicht hierbleiben, Fee. Ich streit mich ständig mit meinem Vater herum. Und ich kann mich nicht selbständig machen. Ich wär ein Konkurrent und würd meiner eigenen Familie den Verdienst wegschnappen.
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