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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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aufhörst.«
    »Aber was wär, wenn was passieren würde? Ich wär in Covent Garden und du hier mit einem dicken Bauch. Dein Vater würde uns totschlagen.«
    Fiona biß sich auf die Lippen. Es nützte nichts, wenn sie ihm sagte, daß sie ihn so heftig begehrte und bereit gewesen wäre, alle Bedenken zu vergessen.
    »Natürlich würd ich dich auf der Stelle heiraten, Fee. Das weißt du, aber was sollten wir im Moment mit einem Baby anfangen? Das können wir uns nicht leisten. Wir müssen uns an unseren Plan halten – sparen, dann der Laden und dann heiraten wir. Und wenn die Kinder kommen, haben wir genug Geld, ihnen zu geben, was sie brauchen. Stimmt’s?«
    »Richtig«, antwortete sie ruhig. Sie zog ihr Mieder und dann die Bluse wieder an. Dann flocht sie ihr Haar zu einem ordentlichen Zopf und versuchte, eine ruhige, gefaßte Miene aufzusetzen. Ihr Verstand pflichtete Joe bei, ihr Körper aber nicht. Ihr war heiß, unbehaglich, und sie fühlte sich zutiefst unbefriedigt. Ihr Körper sehnte sich noch immer nach Erfüllung, auch wenn ihr der Verstand davon abriet.
    »Na komm«, sagte er und bot ihr seine Hand. Er zog sie an sich, und so blieben sie lange stehen, bevor er sie unter dem Kai herausführte. Sie gingen zu den Old Stairs zurück, stiegen hinauf und blieben kurz an ihrem oberen Ende stehen, während er einen letzten Blick über die Kähne, die Kais und den Fluß warf. Es würde eine Weile dauern, bis er dies alles wieder zu sehen bekäme.
    Als sie nach Hause spazierten, konnte Joe, wie immer, nicht widerstehen, sie zu necken. Grinsend sah er sie beständig an. Und als sie sich schließlich zu ihm umdrehte und wissen wollte, was los sei, lachte er und schüttelte den Kopf. »Ich hab ja keine Ahnung gehabt«, sagte er.
    »Was hast du nicht gewußt?«
    »Ich hab nicht gewußt, daß mein scheues kleines Reh, das Mädchen, das früher nicht mal hinter die Brauereimauer gehen wollte, in Wirklichkeit ein wildes Raubtier ist.«
    »Ach, Joe!« rief sie errötend. »Wag’s nicht, dich über mich lustig zu machen!«
    »Ich find’s großartig. Wirklich. Und hoffentlich bist du an unserem Hochzeitstag genauso wild, sonst nehm ich dich nicht und geb dich deinem Vater zurück. Ich geb dich zurück wie eine Steige verfaulter Äpfel.«
    »Sei still, ja? Sonst hört dich noch jemand!«
    Eine Reihe älterer Männer und Frauen gingen auf dem Gehsteig an ihnen vorbei. Joe nahm ihretwegen einen geschäftsmäßigen Tonfall an. »Nun ja, selbst wenn ich den Handel heute nicht zum Abschluß bringen konnte, hab ich zumindest die Ware genauer begutachten können. Und die ist hervorragend, mein Mädchen.«
    Auf dem Weg von Wapping nach Hause brachte er sie so sehr zum Lachen, daß sie fast vergaß, daß er weggehen würde. Doch als sie in die Montague Street einbogen, fiel es ihr wieder ein. Morgen ist er fort, dachte sie. Wenn sie von der Arbeit zurückkam, würde er weg sein.
    Als ob er spürte, was sie fühlte, nahm er ihre Hand und sagte: »Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe. Es ist nicht für immer. Ich komm dich bald besuchen.«
    Sie nickte.
    »Paß auf dich auf«, fügte er hinzu und küßte sie zum Abschied.
    »Du auch«, murmelte sie und sah ihm nach, wie er die Straße hinunterging und sich von ihr entfernte.
     
    Roddy O’Meara brach stöhnend zusammen. Der Magen drehte sich ihm um, und er würgte die Zwiebel-Hackfleisch-Pastete heraus, die er zum Abendessen gegessen hatte. Er lehnte sich gegen die löchrige Backsteinwand im Hof der Hanbury Street Nummer neunundzwanzig und zwang sich, tief durchzuatmen, um den anhaltenden Ekel zu unterdrücken. Als er sich über die feuchte Stirn strich, bemerkte er, daß ihm der Helm vom Kopf gefallen war.
    »Mein Gott, hoffentlich hab ich den nicht vollgekotzt.«
    Er spuckte kräftig aus, fand seinen Helm, musterte ihn, setzte ihn wieder auf den Kopf und zog den Gurt unterm Kinn fest. Dann zwang er sich, zu der Leiche zurückzugehen. Er durfte sich von seinem schwachen Magen nicht abhalten lassen, seine Arbeit zu tun.
    »Besser?« fragte ihn George Phillips, der Polizeiarzt.
    Roddy nickte und nahm die Sturmlaterne, die er neben der Leiche abgestellt hatte.
    »Gut so«, sagte Dr. Phillips und ging neben der Leiche in die Hocke. »Leuchten Sie hier rüber.«
    Er richtete den Strahl auf den Kopf der Frau. Während der Arzt sich Notizen machte, mit dem leitenden Beamten Fragen und Kommentare austauschte, strichen die Blicke von Inspektor Joseph Chandler und verschiedener

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