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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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unterdrückend.
    »Ach, Blödsinn! Du bist nicht müde. Ich kenne den Grund.«
    Joe öffnete die Augen. »Und der wäre?«
    »Es ist wegen deiner hübschen kleinen Freundin. Fiona. Es würde ihr nicht gefallen. Aber sag ihr, daß dein Schwanz kein Seifenstück ist. Er wird nicht weniger, wenn er ab und an mal ein bißchen naß wird.«
    Joe lachte. Es war Harrys übliche Samstagabendroutine. Gleichgültig wie müde er auch war, er raffte sich auf, um leichte Mädchen aufzureißen … und machte sich lustig über ihn, weil er das nicht tat.
    »Stell dir vor, Mann«, fuhr er fort. »Eine hübsche Dirne mit großem Busen, blond oder brünett, wie es dir gefällt, und alles für drei Shilling. Ich kenn eine Rothaarige, die alle möglichen Tricks drauf hat. Die kann die Farbe von einer Fahnenstange lutschen …«
    »Reiß dich bitte zusammen.«
    Aber Harry hatte keine Lust, sich zusammenzureißen. Er war nur allzugern bereit, für Sex zu bezahlen, und in London gab es keinen Mangel an Frauen, die ihm zu Willen waren. Nach Harrys Vorstellung gab es zwei Typen von Frauen: diejenigen, die einem Spaß verschafften, und diejenigen, die man heiraten mußte – und er bevorzugte die ersteren.
    Joe hatte seine Gründe, nicht mitzukommen – in erster Linie Fiona, aber er hatte auch keine Lust, sich in einem Bordell am Haymarket einen Tripper zu holen. Manchen Morgen hatte er Harry in der Toilette stöhnen hören, wenn ihm sein bestes Stück so weh tat, daß er kaum pinkeln konnte.
    »Na schön, ich bin weg. Wart nicht auf mich. Und Joe …«
    »Was?«
    »Hast du in letzter Zeit deine Augen untersuchen lassen?«
    »Nein.«
    »Das solltest du, mein Junge. »Zu viel davon …«, Harry grinste dreckig und machte eine obszöne Geste, »… führt zu Blindheit.«
    »Danke. Jetzt hau ab und laß mich in Frieden.«
    Pfeifend ging Harry die Treppe hinunter.
    Mir tut das Mädchen leid, das ihn heute nacht kriegt, dachte Joe, er wird sie ganz schön rannehmen. Wieder gähnte er. Er sollte ins Bett gehen, war aber zu müde, um aufzustehen. Die Ofentür stand offen, und das Feuer wärmte seine Füße. Er fühlte sich satt und warm … und hatte Schuldgefühle.
    Er und Harry hatten morgens um vier mit der Arbeit begonnen. Die Erntesaison ging zu Ende, aber noch immer kamen ständig neue Wagenladungen an. Die Bauern wollten unbedingt ihre letzten Waren loswerden. Seit Ewigkeiten hatte er keinen freien Tag mehr gehabt. Er hätte darauf bestehen können, aber das wäre nicht klug gewesen. Nicht jetzt. Peterson machte ständig Andeutungen über Beförderungen. Martin Wilson, der Mann, der die Preise für Gemüse aushandelte, ging weg. Joe hätte nicht im Traum daran gedacht, Martins Stelle einzunehmen, weil er glaubte, erst zu kurz in der Firma zu sein, um schon befördert zu werden, aber die Anzeichen waren unmißverständlich. Peterson nutzte jede Gelegenheit, um seine Arbeit zu loben. Und heute hatte er ihn Martins Arbeit übernehmen lassen, weil dieser drinnen gebraucht wurde. Er hatte bemerkt, daß Tommy und Martin ihn beobachteten. Bei Arbeitsschluß hatte sich Tommy gar nicht mehr eingekriegt über zwei Abschlüsse, bei denen er zuviel bezahlt, aber vier, bei denen er einen sehr guten Preis herausgeschlagen hatte, wie er beglückt bemerkte, und er hatte seine Arbeit »alles in allem erstklassig« genannt. Joe war fast geplatzt vor Stolz. Petersons Lob war ihm sehr wichtig geworden.
    Er und Harry hatten erst spät Schluß gemacht, kurz nach sieben. Tommy war noch in der Halle gewesen, mit Millie. Er hatte die beiden jungen Männer zum Abendessen eingeladen. Joe sank das Herz. Er wollte nach Whitechapel fahren, um nach Fiona zu sehen. Er hatte sie seit zwei Wochen nicht mehr besucht und machte sich Sorgen um sie, aber er konnte Petersons Einladung nicht ablehnen. Tommy befahl ihnen, sich umzuziehen und ihn bei Sardini’s, einem nahe gelegenen italienischen Lokal zu treffen. Joe geriet in Panik: Er war noch nie in einem Restaurant gewesen. Er sagte zu Harry, daß er lieber nicht hingehen wolle, weil er nur seine Arbeitskluft zum Anziehen hätte. Harry gab ihm ein Jackett, das ihm zu klein geworden war, und lieh ihm ein Hemd und eine Krawatte. Von seinen beiden Hosen zog er die bessere an.
    Bei Sardini’s war es dunkel, es brannten nur Kerzen, die in Weinflaschen steckten, also würde niemand bemerken, daß seine Hose nicht zu dem Jackett paßte. Tommy bestellte für alle. Mit der Suppe und der Vorspeise kam Joe wunderbar zurecht, wußte

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