Die Teerose
ganze Raum wimmelte von schwarzen Käfern. Das helle Licht scheuend, rasten sie wie wild über Boden und Decke. Sie liefen über die schmutzige Tapete, die in Fetzen herunterhing, sie schossen in den Kamin und schwärmten über eine fleckige Matratze. Wie der Blitz war Kate wieder unten und riß die Vordertür auf.
»Gefällt Ihnen das Zimmer?« rief Mrs.Colman und watschelte ihr hinterher.
»Da wimmelt ja alles!«
»Och, die Viecher tun Ihnen nichts. Ich sag Ihnen was, Sie können’s billig haben. Mit Küchenbenutzung.« Sie beugte sich nahe an Kate heran. »Und das Zimmer hat noch einen Vorteil. Wenn Sie mal in der Klemme sind, können Sie sich ein paar Extramäuse verdienen, ohne aus dem Haus zu müssen.« Sie lächelte sie schmierig an. »Mr. Daniels, zweiter Absatz, zahlt gut, wie’s heißt.«
Kate riß die Tür auf und lief hinaus. Von den Käfern, dem Schmutz und dem Gestank im Haus war ihr übel geworden. Dieses ordinäre Weibstück, dachte sie wütend, hatte ihr auch noch schmutzige Angebote gemacht. Wenn Paddy sie gehört hätte, hätte er ihr die verfaulten Zähne eingeschlagen.
Paddy. Beim Gedanken an ihn kamen ihr die Tränen. Sie nahm ihr Taschentuch heraus und tupfte sich die Augen ab. Jetzt zu weinen, konnte sie sich nicht leisten. Sie mußte ein Zimmer finden, denn sie hatte fast kein Geld mehr und konnte die Miete in der Montague Street nicht mehr bezahlen.
Allein der Verlust von Paddys Lohn war hart genug gewesen, aber gleich nach seinem Tod flatterte eine hohe Krankenhausrechnung ins Haus, dazu die Kosten für den Sarg und den Leichenwagen, die Friedhofstelle und den Grabstein. Sie hatte die zwei Pfund gefunden, die Paddy versteckt hatte, und wie er prophezeit hatte, hatten die Arbeiter von Oliver’s drei weitere für sie gesammelt, dazu kamen ein Pfund von der Gewerkschaft und die Sterbeversicherung. Fiona und Charlie gaben ihr alles, was sie verdienten, und sie hatte angefangen, wieder Wäsche zu waschen, aber es reichte nicht.
Sie hatte gehofft, Burton Tea würde ihr nach dem Tod ihres Mannes zehn oder zwanzig Pfund Entschädigung bezahlen. Doch als sie nach fast zwei Wochen nichts gehört hatte, nahm sie all ihren Mut zusammen und ging zum Firmenbüro. Sie wartete drei Stunden, bevor sie zu einem jungen Buchhalter vorgelassen wurde, der ihr mitteilte, daß sie am nächsten Tag wiederkommen solle, um mit einem älteren Buchhalter zu sprechen. Als sie zurückkehrte, mußte sie erneut warten. Ein anderer Angestellter gab ihr Papiere, die sie ausfüllen mußte. Sie wollte sie mit nach Hause nehmen, damit Roddy einen Blick darauf werfen konnte, aber der Buchhalter sagte, das sei nicht möglich, also füllte sie sie aus und erfuhr, daß sie in einem Monat wieder herkommen könne, um sich nach ihrem Antrag zu erkundigen.
»Einen Monat! Sir, ich brauch das Geld jetzt«, protestierte sie.
Der Buchhalter, ein streng aussehender Mann mit Backenbart, erklärte ihr, daß sie mit Unterzeichnung der Papiere zugestimmt habe, sich dem Vergütungsverfahren der Firma zu unterwerfen. Wenn sie sich nicht an diese Vorschriften halte, würde ihr Anspruch verfallen. Sie hatte keine Wahl und mußte warten.
Doch wenn sie an ihre Kinder dachte, wurde sie von Sorgen über die Zukunft gepeinigt. Wie sollte sie die Familie durchbringen? Sie konnte ein paar Möbelstücke verkaufen, wenn sie umzogen – das könnte ein paar Shilling einbringen. Wenn es nötig war, würde sie Paddys Ehering versetzen, aber nur, wenn es wirklich nötig war. Sie konnte ihre Wäschemangel und ihre Kupfersachen verkaufen. Dafür wäre kein Platz, wenn sie alle in einem Zimmer wohnten. Ohne sie könnte sie keine Wäsche annehmen, was einen weiteren Einkommensverlust bedeutete, aber vielleicht konnte sie Heimarbeit machen oder in den Häusern ihrer Kunden waschen. Aber wer würde dann auf Seamie und Eileen aufpassen?
Ich schaff es einfach nicht, dachte sie, ich schaff es nicht. Zwei Tage hab ich bei Burton Tea verbracht und nichts erreichen können. Gestern und heut hab ich nach einem Zimmer gesucht und nichts gefunden. Entweder ist es zu teuer, zu klein oder zu schäbig. Wieder kamen ihr die Tränen. Diesmal Tränen der Verzweiflung, und sie konnte nichts tun, um sie aufzuhalten.
»Komm, Bristow, geh mit mir und den Jungs aus. Es wird lustig«, sagte Harry Eaton und rückte sich vor dem Spiegel die Krawatte zurecht.
»Nein, danke, Kumpel. Ich bin todmüde«, antwortete Joe mit geschlossenen Augen, ein Gähnen
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