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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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er wäre außer sich, wenn er erführe, daß sie die Abkürzung genommen hatte, und sie hatte keine Lust, sich ausschimpfen zu lassen. Sie würde keinem etwas davon erzählen, sondern die ganze Sache einfach vergessen. Sie hob ihre Einkäufe auf und ging weiter. Als sie das Ende der Straße erreichte, verfluchte sie O’Neill immer noch und schwor sich, ihm gehörig die Meinung zu sagen, falls sie das Pech haben sollte, ihm je wieder zu begegnen.

   13   
    E ine Schar zerlumpter Gassenjungen stocherte in dem weichen Schlamm unterhalb der Old Stairs herum und förderte Kupferstücke, alte Flaschen und Kohlebrocken zutage. Fiona beobachtete sie, wie sie den Streifen durchsuchten, den die Ebbe freigelegt hatte, ihre Taschen füllten und davonrannten, um ihre Schätze dem Altwarenhändler zu verkaufen.
    Sie saß mit Joe an ihrem Lieblingsplatz. Diesen Teil des Flusses kannte sie wie ihre Rocktasche. Alles war ihr vertraut hier – die schaumigen Wellen, Butler’s Wharf auf der anderen Seite des Wassers, der intensive Geruch nach Tee. Alles war ihr zutiefst vertraut, dennoch war alles anders.
    Sie wurde das Gefühl nicht los, daß sich Joe irgendwie verändert hatte. Sie konnte nicht sagen, warum, er wirkte einfach anders. Er trug ein neues Jackett aus schönem moosgrünem Tweed, das ihm Harry geschenkt hatte. Er hatte auch ein frisches weißes Hemd und eine neue Wollhose an, die er sich für eine Reise nach Cornwall mit Tommy Peterson gekauft hatte. Darin sah er nicht mehr wie ein abgerissener Straßenhändler aus, sondern wie ein selbstsicherer junger Mann auf dem Weg nach oben.
    Fiona trug ihren marineblauen Rock, eine weiße Bluse und ihren grauen Schal. Es war ein stürmischer Herbstsonntag, und sie war froh, eine Ausrede zu haben, den Schal umzulegen, weil er einen schlecht geflickten Ärmel verbarg. Sie schämte sich wegen ihres schäbigen Aufzugs und war sich Joes besserer Kleidung bewußt. Sie fühlte sich befangen, ein Gefühl, das sie in seiner Gegenwart noch nie empfunden hatte.
    Joe wirkte freudig erregt, er war zufrieden mit seiner Arbeit, mit Peterson und mit sich selbst. Wozu er allen Grund hatte, dachte sie. Er war gerade mal zwei Monate dort und sollte bereits befördert werden. Endlos erging er sich über Peterson – Tommy hier, Tommy da – und wollte kein Ende mehr finden. Mit strahlendem Gesicht erzählte er von der Möglichkeit, die Stelle als Einkäufer zu bekommen. Er berichtete von der Reise nach Cornwall, wo er in einem eleganten Hotel übernachtet hatte, und benutzte all die Handelsausdrücke, die sie nicht verstand. Sie versuchte, sich für ihn zu freuen, seine Begeisterung zu teilen, aber alles schien sich nur um ihn zu drehen.
    »… und in unserer Büchse sind jetzt achtzehn Pfund und sechs Pence, stell dir vor«, sagte er und riß sie aus ihren Gedanken.
    Fiona sah ihn betrübt an. »Ich hab kein Geld dafür. Vielleicht nächste Woche …«
    »Mach dir keine Sorgen. Ich leg genug für uns beide rein.«
    Sie runzelte die Stirn. Es ging ja nicht darum, daß er für sie beide genügend beiseite legte. Es war doch ihr gemeinsamer Traum! Ihr gemeinsamer Laden. Sie wollte auch etwas beisteuern. Wenn sie es schafften, dann genauso wegen ihrer Anstrengungen und Opfer wie wegen der seinen. Verstand er das denn nicht?
    Er nahm ihre Hand und rieb sie zwischen den seinen. »Mein Gott, Schatz, deine Hand ist so rauh«, sagte er und sah sie an. »Wir kaufen dir eine Creme dafür.«
    »Ich hab welche, danke«, antwortete sie kurz und entzog ihm die Hand.
    Sie steckte sie in ihre Rocktasche. Es stimmte nicht, sie hatte keine Creme. Aber von ihm wollte sie auch keine. Sie fühlte sich verletzt, als hätte er sie kritisiert. Ihre Hände waren immer rauh gewesen. Genau wie die aller anderen. Zumindest derer, die arbeiteten. Damen, die was Besseres waren, hatten weiche Hände, aber nicht Teepackerinnen wie sie. Millies Hände waren sicher weich, dachte sie bitter.
    »Fee, was ist denn los?« fragte Joe, der ihren trotzigen Gesichtsausdruck bemerkte.
    Mein Gott, sie war gemein. Er versuchte bloß, nett zu sein, für sie zu sorgen. Er hatte ihre Familie mit einem großen Korb Obst und Gemüse überrascht und so getan, als wäre es bloß ein Mitbringsel, obwohl er wußte, daß es für sie ums Überleben ging. Für ihre Mutter hatte er Bonbons gekauft und einen bemalten Holzsoldaten für Seamie, der bei seinem Anblick übers ganze Gesicht gestrahlt hatte. Für sie hatte er sechs rote Rosen mitgebracht.

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