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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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zwanzig? Das war doch keine Summe für eine Firma wie Burton Tea. Daß William Burton der Familie eines Mitarbeiters, der auf seinem Gelände verunglückt war, nicht einmal ein paar Pfund zugestand, war eine Ungerechtigkeit. Wut flackerte in ihr auf, wurde aber sofort wieder erstickt. Ungerecht oder nicht, sagte sie sich, ich kann nichts dagegen machen. Resigniert legte sie den Brief in die Zigarrenkiste und setzte sich zum Tee nieder.
    Sie beobachtete ihren Bruder, wie er mit einer Brotrinde den letzten Rest seines Fischs auftunkte. Seamie und ich, dachte sie, wären ohne William Burton und seine verdammte Firma gar nicht hier. Pa würde noch leben, wir alle würden in der Montague Street wohnen. Was Burton heute wohl gegessen hat? Vielleicht Roastbeef, ein leckeres Schnitzel? Ich wette, keinen verdammten Hering für einen Penny.
    Wie Glut, die durch Blasen angefacht wurde, spürte sie die Wut in sich aufflackern. Langsam, kaum daß sie es bemerkte, ging ihre Resignation in flammenden Zorn über. Das Geld hätte ihnen helfen können, aus Adams Court wegzuziehen, hätte ihnen zu gutem Essen und warmen Kleidern verhelfen können. Es hätte ihr helfen können, als sie nicht einmal die paar Pennys hatte, um Papier für den Brief an Joe zu kaufen. Und es konnte ihr und Seamie jetzt helfen, um aus Roddys Wohnung auszuziehen. Einen neuen Anfang zu machen. Dieser Ausbeuter, schäumte sie. Zum erstenmal seit langer Zeit war sie wieder wütend, und sie genoß es. Endlich einmal eine Abwechslung zu der Trauer. Der Zorn gab ihr Kraft und brachte ein wenig von ihrer alten Entschlossenheit zurück.
    »Trink deinen Tee aus, Seamie«, sagte sie plötzlich und stand auf. Er sah sie verwundert an.
    »Komm, iß auf. Du machst einen kleinen Besuch bei deiner Tante Grace.«
    Seamie gehorchte seiner Schwester und stopfte den Rest seines Brots in den Mund. Sie zog ihn an und brachte ihn zu Grace, der sie erklärte, daß sie etwas zu erledigen habe, etwa ein oder zwei Stunden fortmüsse, und ob es ihr etwas ausmache, in der Zwischenzeit auf Seamie aufzupassen. Überrascht über Fionas plötzliche Lebhaftigkeit, lehnte Grace natürlich nicht ab. Und dann machte sie sich auf den Weg in die City. Sie war sich nicht ganz sicher, wo die Mincing Lane war, aber sie würde sich durchfragen. Es war schon spät am Tag, fast halb sechs, und Burton war vielleicht schon weg, vielleicht aber auch nicht.
    Das Geld gehört uns, dachte sie, als sie mit festem Schritt und wehendem Rock durch die dunklen Straßen schritt. Mir und Seamie. Wenn William Burton glaubt, daß das Leben von unserem Pa nicht mal zehn Pfund wert ist, dann soll er was zu hören kriegen.
     
    Nach über einer halben Stunde Fußmarsch und einigen falschen Abzweigungen fand Fiona die Mincing Lane Nummer zwanzig, die Niederlassung von Burton Tea. Die Büros waren in einem imposanten Kalksteingebäude untergebracht, das von einem Eisenzaun umgeben war. Im Innern befand sich eine kleine Glaskabine, wo der Portier gerade eine Tasse Tee trank und sich an einer Schweinepastete gütlich tat.
    »Wir haben geschlossen, Miss«, sagte er. »Haben Sie das Schild nicht gesehen? Besuchsverkehr von neun bis sechs.«
    »Ich muß zu Mr. Burton, Sir«, sagte Fiona mit erhobenem Kinn. »Es ist dringend.«
    »Sind Sie angemeldet?«
    »Nein, aber …«
    »Wie ist Ihr Name?«
    »Fiona Finnegan.«
    »Weshalb wollen Sie den Chef sprechen?«
    »Wegen einer Forderung, die meine Mutter eingegeben hat«, antwortete sie und zog den Umschlag aus ihrer Rocktasche. »Ich hab hier einen Brief, der besagt, sie sei null … und nichtig. Hier … sehen Sie? Aber das ist nicht gerecht, Sir. Mein Vater ist im Lagerhaus von Mr. Burton verunglückt. Das muß ein Fehler sein.«
    Der Portier seufzte, als wäre ihm derlei nicht unbekannt. »Sie müssen zu Mr. Dawson gehen. Kommen Sie morgen wieder, und sein Sekretär gibt Ihnen einen Termin.«
    »Aber Sir, das hilft mir nicht weiter. Wenn ich kurz zu Mr. Burton könnte …«
    »Hör zu, Kleine, nicht mal die Mutter vom Chef könnte einfach so zu ihm reinspazieren. Er ist sehr beschäftigt. Also, sei ein braves Mädchen und mach’s, wie ich es dir gesagt hab. Komm morgen wieder.« Er wandte sich wieder seiner Schweinepastete zu.
    Fiona setzte zu einer Antwort an, ließ es dann aber doch sein. Es nützte nichts, sich mit diesem Mann anzulegen. Er würde sie nicht hineinlassen. Sie ging die Treppe hinunter. Vor dem Tor drehte sie sich um, warf ihm einen letzten vorwurfsvollen

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