Die Teerose
Blick zu und sah, daß er sich von seinem Stuhl erhob. Er verließ seinen Arbeitsplatz und ging den Gang hinunter.
Er geht auf die Toilette, dachte sie. Sie stand am Tor und nagte an der Unterlippe. Sie hatte keine Lust, den Sekretär aufzusuchen, sie wollte zu Burton persönlich. Sie brauchte dieses Geld. Plötzlich lief sie die Treppe hinauf und rannte am Schalter des Portiers vorbei die Stufen zum ersten Stock hinauf. Der Gang war dunkel. Sie drückte die Glastür auf, die davon abging, und fand sich in einem noch dunkleren Flur wieder. Ihre Schritte hallten auf dem glänzenden Boden. Türen mit Milchglasscheiben säumten beide Seiten des Flurs. Alle sahen gleich aus. Sie drehte an einem Türknopf, er war verschlossen. Hier konnte Burtons Arbeitszimmer nicht sein, es war nicht prächtig genug.
Sie stieg in den zweiten Stock. Hier sah es vielversprechender aus. Auf der linken Seite des Flurs befanden sich vier Holztüren mit Namensschildern aus Messing darauf, alle geschlossen. Auf der rechten Seite lag eine massive zweiflügelige Tür. Sie stand offen. Auf Zehenspitzen schlich sie heran und spähte hinein. Sie sah einen riesigen Raum mit einem großen Schreibtisch in der Mitte. Hinter dem Schreibtisch waren deckenhohe Aktenschränke. Drei der Aktenschränke waren offen, dahinter befand sich ein in die Wand eingelassener Safe. Auf dem Schreibtisch verbreitete eine Messinglampe mit grünem Glasschirm ein spärliches Licht, das jedoch genügte, um die mit Banderolen versehenen Geldbündel darauf zu beleuchten. Fiona hielt den Atem an, noch nie hatte sie soviel Geld gesehen. Burton würde ihr sicher ihre zehn Pfund nicht versagen.
Rechts von dem Schreibtisch befand sich eine andere Tür. Sie stand halb offen. Dort war jemand, es brannte Licht. Zögernd machte sie einen Schritt vorwärts und fragte sich, ob sie wahnsinnig geworden war. Sie betrat verbotenes Terrain. Wenn er jetzt herauskam und sie sah, würde er glauben, sie wollte sein Geld stehlen, und sie festnehmen lassen. Bei einem weiteren Blick auf die Geldbündel verlor sie fast die Nerven.
Gerade als sie an dem Schreibisch vorbeiging, hörte sie Stimmen aus dem anderen Raum. Burton war nicht allein. Sollte sie trotzdem anklopfen? Sie hörte die Männer lachen, hörte, wie sie ihre Unterhaltung wiederaufnahmen und wie einer der Männer einen Namen nannte, den sie kannte: Davey O’Neill. Neugierig trat sie näher.
»O’Neill? Der spurt. Liefert mir Namen. Genau wie ich’s ihm befohlen hab.«
»Gut, Bowler. Freut mich zu hören. Der Kerl ist Gold wert. Da sind noch mal fünf Pfund für ihn. Was hat er dir über Tillet erzählt?«
Bowler. Bowler Sheehan. Fiona gefror das Blut in den Adern. Ihre Neugier wegen Davey O’Neill war vergessen, genauso wie ihr Wunsch, um zehn Pfund zu bitten. Sie mußte hier raus. Sofort. Sheehan war ein übler Bursche. Ein sehr übler. Was machte er hier? Gewiß kein Geld für wohltätige Zwecke sammeln. Sie hatte einen großen Fehler gemacht, sich in Burtons Büro zu schleichen, und wenn man sie erwischte, würde sie teuer dafür bezahlen. Sehr teuer. Sie trat einen Schritt zurück, dann noch einen. Leise, leise, sagte sie sich. Und schön langsam, ohne Hast. Sie behielt die Tür zu dem inneren Büro im Auge und hörte sie immer noch sprechen.
»Tillet probiert wieder, sie zu versammeln, aber er hat bloß ein paar zusammengekriegt. Ein armseliges Häufchen höchstens.«
»Ja, aber wie ich ihn kenne, gibt er nicht auf, bis er wieder eine funktionstüchtige Gewerkschaft beisammenhat. Wenn wir ihn bloß ähnlich loskriegen könnten, wie wir diesen Mistkerl Finnegan losgeworden sind.«
Fiona erstarrte.
»Ja, das war gute Arbeit, was?« antwortete Sheehan schmunzelnd. »Erste Klasse! Bin selber da raufgekrochen und hab eigenhändig die Schmiere verteilt. Hab die Luke aufgemacht und ein paarmal dagegengeschlagen, dann hab ich mich hinter einer Teekiste versteckt und zugesehen, wie der Herr Gewerkschaftsführer ausgerutscht und fünf Stockwerke nach unten gefallen ist. Und O’Neill hat man’s angehängt!« Er lachte laut auf.
Fiona biß sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien. Gesprächsfetzen fielen ihr ein, und eine schwindelerregende Folge von Bildern zog an ihr vorbei. Die Beerdigung ihres Vaters. Mr. Farrell und Mr. Dolan, die sagten, wie seltsam es war, daß Paddy gestürzt sei, wo er doch immer so achtsam gewesen war. Die Tatsache, daß der Unfall kurz nach der Übernahme der örtlichen Gewerkschaftsführung ihres
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