Die Teerose
Vaters passiert war und daß Davey O’Neill ihr in die Barrow Street gefolgt war.
Sie atmete in kurzen Stößen. Sie wollte es nicht begreifen. Ihr Pa war ermordet worden, weil Burton nicht wollte, daß seine Arbeiter der Gewerkschaft beitraten. Bowler Sheehan hatte ihn umgebracht, der jetzt nur ein paar Meter von ihr entfernt dasaß und sich darüber totlachte. Verwirrt, ohne zu wissen, wo sie sich eigentlich befand, machte sie einen unvorsichtigen Schritt nach hinten. Mit einem lauten Knall stieß sie gegen den Schreibtisch, verlor das Gleichgewicht, taumelte und richtete sich wieder auf. Ihre Hand berührte einen Stapel Geldscheine.
Das Gespräch im Innern des Büros verstummte.
»Fred, sind Sie das?« Die Tür wurde aufgerissen, und William Burton tauchte auf. Er riß die Augen auf, als er Fiona sah. Sein Blick wanderte zum Schreibtisch seines Sekretärs, wo ihre Hand auf seinem Geld lag. »Was machst du hier? Wer hat dich reingelassen?«
Fiona antwortete nicht, ihre Finger schlossen sich um die Geldscheine. Mit einem Schlag war ihre Angst wie weggeblasen, und rasender Zorn packte sie. Sie warf Burton das Geldbündel entgegen. Er ging auf sie zu, und sie ergriff die Schreibtischlampe. Sie fiel zu Boden, zersprang in tausend Stücke, und Öl lief aus. »Du Dreckskerl, du Mörder!« schrie sie. »Du hast ihn umgebracht! Du hast meinen Vater umgebracht!« Sie schleuderte einen Ablagekasten auf ihn, der ihn an der Brust traf, dann warf sie ein Tintenfaß und ein weiteres Geldbündel nach ihm.
»Sheehan!« brüllte er. »Kommen Sie hier raus!«
Bei der Nennung dieses Namens machte sie einen Satz. Mit einem Schlag war ihre Angst zurückgekommen. Sie rannte aus dem Büro, schlug die Tür hinter sich zu, lief den Gang und die Treppe hinunter und hielt in der einen Hand ein Bündel Geldscheine, die sie nicht weggeworfen hatte, mit der anderen raffte sie ihre Röcke. Kaum im ersten Stock angelangt, hörte sie schwere Schritte hinter sich.
»Halten Sie sie auf, Fred!« rief Burton die Treppe hinunter. »Halten Sie das Mädchen auf!«
Sie war gerade am oberen Ende der letzten Stufen angelangt, als die Schritte sie einzuholen begannen. Es war Sheehan, das wußte sie, ohne sich umzudrehen. In halsbrecherischem Tempo stürzte sie die Treppe hinunter, rannte um ihr Leben. Die Kabine des Portiers kam in Sicht. Wenn er Burton hörte, würde er herausspringen, ihr den Weg versperren, und sie hätte kaum eine Chance, an ihm vorbeizukommen. Sie sprang die letzten Stufen hinab, bereit für die Konfrontation, aber er war nicht an seinem Platz. Sie schoß durch die Eingangstür, die Treppe hinunter und auf das Tor zu. Sheehan folgte ihr im Abstand von nur ein paar Metern. Erst jetzt sah sie den Portier. Er stand am Tor und fummelte mit dem Rücken zu ihr am Schloß herum. Sheehan rief ihm etwas zu. Er drehte sich um, ein Ölkännchen in der Hand. »Was zum Teufel…«, begann er. Fiona nahm noch einmal alle Kraft zusammen und raste an ihm vorbei durchs Tor hinaus, bevor er begriff, was vor sich ging. Als sie draußen war, griff sie nach einer der Eisenstangen, warf das Tor zu, und das Schloß schnappte ein. Das war ihre Rettung.
Sie lief die Mincing Lane hinunter. Hinter ihr hörte sie, wie Sheehan den Portier anschrie, das verdammte Tor aufzumachen. Sie wagte einen Blick zurück. Der Mann fummelte mit dem Schlüssel herum und ließ ihn fallen. Außer sich trat Bowler mit den Füßen zuerst nach ihm, dann nach dem Tor. Neben ihm stand Burton und sah zu, wie sie weglief. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, und sie wußte, wenn die beiden Männer sie zu fassen kriegten, würde er, nicht Sheehan, sie zu Tode prügeln.
Sie rannte in die Tower Street, wo sie einen Bus in Richtung Osten abfahren sah, auf den sie aufsprang. Sie duckte sich auf einen Sitz, rang nach Luft und sah aus dem Fenster. Sie konnten direkt hinter ihr sein, denn sicher hatten sie gesehen, wie sie aus der Mincing Lane abbog. Vielleicht hatten sie sie in den Bus steigen sehen. Was, wenn sie eine Droschke nahmen und ihr folgten? Angst packte sie. Sie war zu deutlich zu sehen. Der Bus fuhr langsam den Tower Hill hinab. Als er anhielt, um Fahrgäste aufzunehmen, sprang sie ab.
Sie rannte auf die nördliche Seite der Straße und versteckte sich im Eingang eines Pubs, von wo aus sie den Verkehr beobachtete. Er war spärlich um diese Zeit – es war fast sieben –, und ihr entging keines der Fahrzeuge. Sie sah einen nach Westen gehenden Bus, zwei
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