Die Templerin
die Otto auf einen entsprechenden Befehl Jeromés hin entwaffneten und seine Hände auf den Rücken banden. »Bringt ihn zu Gunthars Männern«, sagte Jeromé. »Gernot - Ihr geht besser mit, nur damit es nicht zu einem Mißverständnis kommt.«
»Du wirst ihn nicht anrühren«, sagte sein Vater. »Ich rede selbst mit ihm.«
Gernot nickte und drehte sich mit steinernem Gesicht herum, um Otto und den beiden Männern zu folgen. Erst, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, fuhr Gunthar fort:
»Es tut mir leid. Ich weiß, daß das billige Worte sind, die mein Handeln nicht rechtfertigen können, aber ich kann Euch nur um Verzeihung bitten.«
»Euch trifft keine Schuld«, sagte Abbé. »Ihr wurdet ebenso getäuscht wie wir. Danket Gott, daß die Wahrheit am Schluß doch noch ans Licht gekommen ist.«
»Und bedankt Euch bei diesem Mädchen«, fugte Xavier - nicht nur zu Robins Überraschung - hinzu. »Wäre sie nicht gewesen und hätte unser Herr sie nicht auf wunderbare Weise überleben lassen, so wäre ein noch viel größeres Unheil geschehen.«
»Und Ihr hättet niemals erfahren, wer Euren Sohn wirklich getötet hat«, fügte Jeromé hinzu.
Gunthar starrte fast eine Minute lang aus aufgerissenen, blicklosen Augen und ohne etwas zu sagen ins Leere, dann atmete er tief und hörbar ein und drehte sich mit einer hölzern wirkenden Bewegung zu Robin um. »Ich danke dir«, sagte er. »Was dir angetan wurde, kann nie wieder gutgemacht werden, doch wenn es dir an irgend etwas fehlt oder du einen Wunsch hast, dann komm zu mir. Elmstatt steht in deiner Schuld, so lange es existiert.«
Er ging ohne ein weiteres Wort. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, da wandte sich Jeromé an Salim und sagte: »Geh und behalte Gernot im Auge, und vor allem Otto. Es wäre nicht besonders glücklich, wenn er entkäme - oder gar einem Mordanschlag zum Opfer fiele.«
Salim verschwand ohne ein weiteres Wort, und endlich fand Robin die Gelegenheit, Jeromé die Frage zu stellen, die sie schon die ganze Zeit über quälte, ohne daß sie sie bisher auszusprechen gewagt hätte. »Warum haben wir das getan?«
»Wir?« Jeromé schmunzelte - aber irgendwie wirkte es drohend, fand Robin.
»Gernot«, sagte sie mühsam, und nicht nur Jeromé verstand, was sie meinte. Es war Abbé, der antwortete, nicht Jeromé, obwohl er von dieser neuen Version der Geschichte im ersten Moment mindestens ebenso überrascht worden war wie Otto und Gernot selbst.
»Es war das einzige, was Sinn machte«, sagte er. »Gunthar hätte die Wahrheit nicht ertragen. Er hätte sie nicht hören wollen oder wäre daran zerbrochen. Du kannst einem Mann nicht innerhalb weniger Tage seinen Sohn nehmen und ihm sagen, daß sein anderer Sohn der Mörder ist.« Er sah hoch. »Ihr habt richtig gehandelt, Bruder Jeromé. Und du auch, Robin.«
»Ich habe gelogen«, flüsterte Robin.
»Die Wahrheit wird an den Tag kommen«, antwortete Abbé. »Aber nicht jetzt. Es ist nicht der richtige Moment dafür.« Er lächelte. »Zerbrich dir nicht den Kopf, mein Kind. Das ist Politik. Davon verstehst du nichts.« Robin sah ihn wortlos an, und plötzlich war ihr kalt. Das waren fast die gleichen Worte, die Gernot gebraucht hatte - nur einen Augenblick, bevor er Otto den Befehl gab, sie zu töten. Und sie begann sich zu fragen, ob der Unterschied zwischen Bruder Abbé und ‘Gernot von Elmstatt wirklich so groß war, wie sie bisher geglaubt hatte.
KAPITEL 23
Gernot und seine Männer verließen die Komturei noch im Laufe der Nacht, und noch bevor sie es taten, zogen Freund und Feind eine schreckliche Bilanz des zurückliegenden Tages: Achtzehn von Abbés Männern waren tot oder so schwer verletzt, daß sie den nächsten Morgen wohl nicht mehr erleben würden, und die Verluste der Angreifer waren mehr als doppelt so hoch. Kaum einer auf beiden Seiten, der ganz unverletzt davongekommen wäre, und die Komturei selbst lag zu großen Teilen in Trümmern. Es würde ein Jahr dauern, sie wieder so aufzubauen, wie sie einmal gewesen war. Elmstatt mußte es noch schlimmer getroffen haben - irgendwann während der Nacht fing Robin ein Gespräch zwischen Jeromé und Abbé auf, in dessen Verlauf Jeromé die Meinung vertrat, daß Elmstatt sich nie wieder von dieser Schlacht erholen würde; der Freiherr war nie sehr reich gewesen, und das Land blutete seit Jahrzehnten aus. Der Kaiser verlangte immer höhere Abgaben und Steuern, und die Blüte des Adels fiel entweder in den ebenso törichten
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