Die Templerin
von Bruder Horace und seinen frommen Kriegern ging, konnte sie sich kaum vorstellen. Bisher hatte sie nicht den Eindruck gewonnen, daß Salim viel um das Leben eines Tempelritters gab.
Die Reiter verschwanden nach einer Weile aus ihrem Blickfeld, und Salim lenkte Shalima etwas weiter nach links, vermutlich, um den Wald zu umgehen und ihnen den Weg abzuschneiden; oder, wenn möglich, noch vor ihnen das Gasthaus zu erreichen. Robin glaubte jedoch nicht, daß sie rechtzeitig ankommen würden. Der Weg war viel weiter, als sie geglaubt hatte. Obwohl sie ihre Pferde so schnell ausgreifen ließen, wie es nur ging, schien der Wald noch keinen Deut näher gekommen zu sein, und die Sonne hatte den Horizont mittlerweile berührt. Die Schatten wurden länger, und ein erster Hauch von Grau mischte sich in ihr Licht. Es wurde dunkel, bis sie den Wald erreichten, und sie brauchten eine weitere Stunde, um ihn zu umgehen. Dann endlich sahen sie wieder Licht vor sich.
Robin atmete erleichtert auf. Sie hatte tapfer mit Salim mitgehalten, aber nun war sie am Ende ihrer Kräfte. Kettenhemd und Schild schienen Zentner zu wiegen, und ihr Atem ging so schnell, daß sie beim Luftholen keuchte. Auch Wirbelwind war vollkommen erschöpft, denn der tapfere Hengst mußte schließlich nicht nur ihr Gewicht tragen, sondern auch das zusätzliche des schweren Kettenpanzers, der sich unter seiner Schabracke verbarg.
Trotzdem wollte sie schneller reiten, um das restliche Wegstück möglichst schnell hinter sich zu bringen, aber Salim fiel ihr rasch in den Arm und schüttelte den Kopf. »Wir müssen jetzt vorsichtig sein«, flüsterte er. »Sie sind hier. Ich kann sie spüren!«
Robin lauschte angestrengt. Sie hörte ihre und Salims Atemzüge, ihre eigenen, dumpfen Herzschläge und die vielfältigen Geräusche des Waldes, der sie umgab, aber sonst nichts. Salim hatte wohl schärfere Sinne als sie.
»Steig ab«, fuhr er im Flüsterton fort. »Wir gehen das restliche Stück zu Fuß. Und keinen Laut!«
Robin gehorchte, warf aber einen sehnsüchtigen Blick zu dem warmen Lichtschein am Ende des Weges. Er versprach Geborgenheit und Wärme, und sie fühlte sich so müde. Sie wollte nicht mehr kämpfen. Es war zuviel passiert. Sie wünschte sich, sie hätte die Komturei nie verlassen. Sie waren ihrem Ziel auf vielleicht hundertfünfzig oder zweihundert Schritte nahegekommen, als Salim abermals stehen blieb und den Zeigefinger über die Lippen legte. »Bleib hier«, flüsterte er. »Rühr dich nicht!«
Er reichte ihr Shalimas Zügel, drehte sich wieder herum und schien dann einfach zu verschwinden, wie ein Schatten, der von einer schwarzen Steinmauer verschluckt wurde.
Robin mußte wieder daran denken, wie er sich einmal selbst genannt hatte: Schattenkrieger. Sie verstand plötzlich ein bißchen mehr, was er damit gemeint haben mochte. Und es machte ihr Angst.
Es verging eine Weile, dann hörte sie einen sonderbaren, erstickten Laut, fast wie ein Seufzen, gefolgt vom Rascheln von Blättern und dann dem leisen Brechen eines einzelnen Astes. Kurz daraufkam Salim zurück. Er sagte nichts, aber sie verspürte einen leisen, salzigen Geruch, der ihn umgab und den sie nach einer Sekunde voller Schrecken als den von Blut identifizierte.
»Und?« fragte sie mühsam beherrscht.
»Ein Wachtposten«, antwortete er. »Aber nur einer. Er wird uns nicht verraten.«
Robins Hände begannen für einen Moment zu zittern. Sie hatte sich sofort wieder unter Kontrolle, doch was sie nicht unterdrücken konnte, das war das tiefe Entsetzen, mit dem sie die Kälte in Salims Stimme erfüllte. Er hatte soeben einen Menschen getötet. Vermutlich hatte er keine Wahl gehabt - zumindest von seinem Standpunkt aus -, aber das machte es nicht besser. Sie hätte es sogar ertragen, Triumph in seiner Stimme zu hören, aber was sie zutiefst erschütterte, das war die vollkommene Teilnahmslosigkeit in seiner Stimme.
»Wir lassen die Pferde besser hier zurück«, fuhr Salim im Flüsterton fort. »Es ist nicht mehr weit.«
Robin nickte knapp. Sie war froh, daß es so dunkel war, daß Salim ihr Gesicht nicht erkennen konnte. Dicht hinter dem Tuareg führte sie ihr Pferd ein Dutzend Schritte weit in den Wald hinein und machte Wirbelwind an einem Baum fest. Sie wollte zum Weg zurückgehen, aber Salim schüttelte lautlos den Kopf und deutete in den Wald hinter sich. Mit der gleichen Bewegung befestigte er den Schleier vor seinem Gesicht, so daß er nun vollends unsichtbar zu werden
Weitere Kostenlose Bücher