Die Terranauten 010 - Revolte auf Luna
Hände waren feucht, als er sich entschlossen durch die Öffnung schob und den dämmerigen, kleinen Raum dahinter betrat.
Die Leuchtplatte an der Decke war staubig und mit einem Tuchfetzen bedeckt, gab aber noch genügend Licht ab, um das Innere der metallenen Höhle zu erhellen.
Der Boden war mit glatten, kühlen Kunststoffplatten ausgelegt. In einer Ecke stapelten sich mehrere zerschlissene Decken und bildeten eine notdürftige Schlafstätte.
Bis auf die Frau war der Raum leer.
Die Frau hockte in der Mitte des Raumes mit verschränkten Beinen auf dem Boden, hatte die Augen geschlossen und summte gleichgültig weiter.
Sie muß einmal sehr schön gewesen sein! dachte Morgenstern nüchtern, aber das mußte lange her gewesen sein.
Jetzt war ihr Gesicht bleich und eingefallen, die Haare hingen ihr wirr und strähnig auf die Schultern, und die Kleidung, die sie trug, verhüllte nur notdürftig die Magerkeit ihres Körpers.
Seit terLyers Rückkehr in die obere Etage schien sie nichts mehr gegessen zu haben.
Empörung flackerte in Morgenstern auf. Man ließ sie verhungern, einfach verhungern. Keiner der anderen Verrückten schien sich um sie zu kümmern.
Morgenstern schnüffelte. Ranziger Geruch lag über dem Raum, und als er zur Seite blickte und die unberührten Behälter mit den allmählich verderbenden Rationen erblickte, mußte er den Bewohnern der Braunen Platte Abbitte tun. Offenbar schien jemand Leande zu versorgen. Aber warum aß sie dann nicht?
Die Frau öffnete weder ihre Augen, noch unterbrach sie ihren wortlosen Gesang, als Morgenstern unsicher näher trat, bis er dicht vor ihr stand.
Unschlüssig sah der kleine Mann auf sie hinunter.
Der Haufen Rationenschachteln verriet ihm, daß er nun keine Zeit mehr vergeuden durfte, wollte er nicht riskieren, von den Unbekannten überrascht zu werden, die sich um die Frau kümmerten.
Aber was sollte er tun?
Die Frau war verrückt, und nicht einmal der Psyter mochte ahnen, wie sie reagierte.
Morgenstern räusperte sich.
»Leande«, flüsterte er. »Leande, hörst du mich?«
Keine Antwort, nur das verzweifelt, jetzt ängstlich klingende Summen.
Sie erinnerte Morgenstern an ein kleines Mädchen, das sich in der Dunkelheit verirrt hatte und sang, um seine Furcht zu überspielen.
»Leande«, sagte er wieder, diesmal lauter. »Kannst du verstehen, was ich sage?«
Die Frau verstummte. Langsam hob sie ihren Kopf und sah zu ihm hinauf. Ihre Augen waren glanzlos, leer.
»Du mußt mit mir kommen, Leande«, stieß Morgenstern erleichtert hervor. »Ein Freund erwartet dich. Komm, Leande!«
»Es ist kalt«, murmelte die Frau. »Wir sind zu weit draußen. Viel zu weit draußen. Niemand hätte hierhin gehen dürfen.« Ihre Lippen zitterten. Dann lächelte sie plötzlich, aber es war kein Lächeln, wie es Morgenstern bei anderen Menschen gesehen hatte.
Er schluckte unwillkürlich und sann verzweifelt nach einer Möglichkeit, die Blockade zu überwinden, die ihr Geist vor der Wirklichkeit errichtet hatte. Zögernd berührte er sie am Kinn, strich ihr flüchtig über die Wange.
Eine boshafte Eingebung erinnerte ihn, daß er gute dreißig Jahre älter als Leande war und daß er sich wirklich keine günstige Situation für eine Romanze ausgesucht hatte, aber ihr Gesichtsausdruck vertrieb den Zynismus.
Die Falten um ihren Mund glätteten sich, als Leande die Berührung seiner Finger spürte.
»Ein Freund, Leande«, flüsterte Morgenstern. »Er vermißt dich.«
Die Frau zuckte plötzlich zurück. »Dieses Licht!« kreischte sie gellend, mit allen Anzeichen der Panik. »Es ist wie damals, Derek! Es muß weg! Weg!« Sie zitterte an allen Gliedern. »Das Wasser kommt näher. Und es ist schwarz, schwarz wie der Tod. Derek! Wir sterben!«
Sie begann, wild um sich zu schlagen, schrie und schluchzte und hieb mit ihren Fäusten nach unsichtbaren Feinden, nach Trugbildern aus den Tiefen ihres Unterbewußtseins.
Morgenstern unterdrückte einen Fluch.
Wenn sie nicht augenblicklich mit dem Geschrei aufhörte, dann …
Es war fast schon zu spät, als er die Schritte in seinem Rücken hörte.
*
Unnatürliche Stille erfüllte das Raumschiff.
Der Riemenmann lag benommen auf der harten Pritsche und blinzelte mit verdrehtem Kopf zu David terGorden und die beiden Mädchen hinüber, die genau wie er festgeschnallt waren.
Der Riemenmann schloß erschöpft wieder die Augen und gab sich der Müdigkeit hin, die die Droge in seinem Blut bewirkte. Hin und wieder verspürte er
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