Die Terranauten 026 - Der Weg nach Argus
Dämmervorhänge angeordnet, immaterielle Gewebe aus polarisiertem Licht, auf der einen Seite durchsichtig, nicht einmal zu erahnen, auf der anderen Seite die äußere Helligkeit der Dachetage abweisend und ungewisses Halbdunkel verbreitend.
Die Vorhänge schufen eine kreisförmige, knapp zwanzig Meter durchmessende Zone. Chan de Nouille gegenüber befand sich ein ungefüger Stahlklotz, ein Würfel aus rötlichblauem, fremdem Metall, über dem ein Holobild funkelte.
Das Bild zeigte den Kopf einer Frau.
Einer Frau, die jeder Gardist kannte.
Die Graue Arda!
Auf dieser Darstellung befand sie sich in der Blüte ihrer Jahre, eine Schönheit mit hohen Wangenknochen und mandelförmigen Augen, noch ungebeugt von der Last des hohen Alters, das sie erreicht hatte. Ihr Gesicht leuchtete von innen heraus und verlieh ihr ein mystisches Aussehen.
Heiligenverehrung.
Jetzt bemerkte die falsche Manag auch den entrückten Ausdruck des Neutrums, und an der Schwelle ihres Bewußtseins, gedämpft durch die Gehirnoperation, vernahm sie einen rätselhaften Hauch, etwas wie Ehrfurcht, Verzückung und Kraft zugleich.
Künstlich erzeugte emotionale Strahlung? Wenn ja, dann befindet sich diese Semi-Realität auf einem höheren technischen Niveau, als ich es bislang vermutet habe.
Im Zentrum des Kreises aus Zwielicht ragte ein ebenfalls kreisförmiger, einen Meter durchmessender Sockel aus dem glatten Boden, rötlichblau wie der Würfel, und oben an der Decke schwebte ein seltsames, unidentifizierbares Gespinst.
Grau-Alpha folgte dem Blick Chan de Nouilles. Ein kurzer Wink, und die Gardisten verteilten sich an der Peripherie der Zwielichtzone. Es waren zwölf Männer, und auch auf ihren Gesichtern, in ihren Augen glomm dieser beängstigende Ausdruck.
Ein Heiligtum, tatsächlich. Und das Neutrum – die Oberpriesterin?
Fast war die Große Graue versucht aufzulachen, aber sie unterließ es, sehr wohl wissend, daß eine falsche Reaktion sie augenblicklich das Leben kosten konnte.
Das Neutrum deutete auf den knapp zwanzig Zentimeter hohen Sockel. »Dorthin«, befahl es knapp.
Chan de Nouille zögerte. Das Gefühl drohender Gefahr war nun fast übermächtig, aber wieder prickelte die gedrosselte Strahlung eines Stunners in ihren Nerven, wuchs und drohte unerträglich zu werden.
Sie senkte den Kopf und folgte der Anweisung.
Durch die dünnen Schuhe, die sie trug, fühlte sie beißende Kälte ihre Beine hinaufkriechen. Ein Summen ertönte und schwoll an. Im gleichen Augenblick ging ein Ruck durch ihre Gestalt.
Entsetzt erkannte sie, daß sie gelähmt war.
Ein Fesselfeld! Ich bin gefangen!
Kurz stemmte sie sich gegen das unsichtbare Netz, das ihren Körper umklammerte und selbst jede Lippenbewegung zu einer Qual machte, aber es war sinnlos. Sie war zu schwach, um etwas gegen das Kraftfeld auszurichten.
Grau-Alpha schien ihre Versuche bemerkt zu haben. Sie lächelte kühl. Ein Katzenlächeln, das unter den Augen endete.
»Es hat keinen Zweck«, erklärte das Neutrum sachlich. »Je mehr Sie dagegen ankämpfen, desto stärker wird der Druck. Und ab einer bestimmten Grenze schwindet er nicht mehr, und Sie werden erdrückt. Fügen Sie sich in Ihr Schicksal.«
Chan de Nouille schwieg.
Sie wußte, wann sie verloren hatte.
Grau-Alpha verschränkte die Arme. »Sie kennen diese Frau, nicht wahr?« fragte sie und nickte der Holoprojektion zu.
»Die Graue Arda«, sagte Chan de Nouille. Dankbar registrierte sie, daß der übermächtige Druck auf ihr Gesicht nachgelassen hatte.
»Die Graue Arda«, bestätigte das Neutrum. »Die Gründerin der Garden, die Mutter aller Grauen. Mit ihr begann der Aufstieg einer Organisation, wie sie die Menschheit niemals zuvor in ihrer Geschichte gekannt hat. Und mit dieser Frau – begann der Untergang.«
Das Holobild flimmerte. Ein neues Gesicht schälte sich heraus.
Chan de Nouille verbiß nur mit Mühe einen Schrei.
Das Gesicht war verändert, älter, faltiger, müder vielleicht, und das Rot der Haare war einem hellen Weiß gewichen. Es war zweifelsohne Chan de Nouille.
Die Chan de Nouille dieser Semi-Realität, um siebenundvierzig Jahre älter …
Grau-Alpha stutzte plötzlich, ihr Blick glitt von dem Holobild zu der Frau, die in dem Fesselfeld gefangen war, und ihre Irritation schien größer, als sie sich eingestehen wollte. Das Neutrum schüttelte den Kopf, wie um sich selbst zu überzeugen, daß seine Gedanken unsinnig waren.
»Die Große Graue«, intonierte das Neutrum mit einem
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