Die Terranauten 037 - Sternenlegende
Wächter auf. Das Risiko, hier noch entdeckt zu werden, war entsprechend gering.
Sie fand die Liege Rollos ohne Probleme. Sie hatte lange genug hier gelebt, daß sie sich auch zurechtgefunden hätte, wenn es stockdunkel gewesen wäre.
»He, was ist da los?«
Ein eisiger Schrecken schien sie fast zu lähmen, als sie die Stimme hörte. Eine Ewigkeit lang überlegte sie fieberhaft. Aus dem Dunkel der Aufenthaltsräume näherte sich eine uniformierte Gestalt, die offenbar Verdacht geschöpft hatte. Narda kniff die Augen zusammen und handelte. So leise und so schnell sie konnte, kroch sie neben Rollo auf die Liege und zog die Decke über ihren Kopf. Der Deneb-Geborene war im gleichen Augenblick wach, aber Narda legte ihm eine Hand auf den Mund, um den überraschten Laut zu ersticken, den Rollo ausstoßen wollte. Und er begriff. Ganz eng drängte sich das Mädchen an ihn heran, so daß ihre beiden Körper fast zu einem verschmolzen.
Furcht kroch in ihr hoch. Wenn sie jetzt entdeckt wurde, dann war an Flucht lange Zeit nicht mehr zu denken. Die Sicherheitsvorkehrungen würden dann so verschärft werden, daß keine Vorbereitung unentdeckt bleiben konnte.
Der Uniformierte ging rasch die langen Reihen der Liegen entlang, mißtrauisch geworden. Einige aufgewachte Stumme Treiber murrten lautstark.
Nardas Angst währte einige Minuten lang, bis sie sicher sein konnte, daß der Wächter wieder verschwunden war. Dennoch wartete sie noch eine geraume Weile, bis der größte Teil der Aufgewachten wieder eingeschlafen war.
»Narda, bist du verrückt geworden?« flüsterte Rollo streng. »Wie bist du überhaupt …?«
»Lassen wir das«, entgegnete sie ebenso leise. Rollo verstand. »Ich habe Neuigkeiten.«
Sie erzählte ihm von den Gesprächen in Baracke Neun, von den wiederholten Abtransporten von Internierten, von Ginger und dem sogenannten Bund der freien Welten. Rollos Augen leuchteten in der Dunkelheit auf.
»Es tut sich also etwas«, brummte er. »Ginger und der Bund. Es gibt noch Widerstand!«
»Habe ich immer behauptet«, sagte Narda spitz und stieß ihm mit dem Zeigefinger in die Seite. Er zuckte zusammen und hielt ihre Hand fest. »Vielleicht«, fuhr das Mädchen fort, »nein, ganz sicher sogar, haben David und die Terranauten da auch ihre Hand im Spiel.«
»Ach, Narda«, murmelte Rollo. »Wir haben alle gesehen, daß David bei seiner Flucht von Zoe ums Leben gekommen ist. Die Kaiserkraft-Zusammenballung kann er gar nicht überlebt haben, Mädchen.«
»Rorqual …«
»Gerüchte, Narda. Monate, Jahre sind vergangen, Zeit genug, um Legenden entstehen zu lassen.«
Ja, dachte die Sechzehnjährige. Ein Märchen. Narda und Josslin, die Geschichte, die sie immer so gern gehabt hatte. Auch ihr Namensvetter aus dieser Legende hatte ihren Geliebten verloren. Und von einem Außerirdischen hatte die Märchen-Narda erfahren, daß sich ihr Josslin auf Rorqual aufhalte, einer Welt, die jeder Treiber leicht erreichen, aber nur schwer wieder verlassen könne. Narda und Josslin. Narda und David. Auch ihr Josslin – David – sollte sich auf Rorqual befinden. Die merkwürdige Übereinstimmung brachte eine Saite in ihr zum Klingen. Melancholie und Sehnsucht überschwemmten sie. Sie hatte die Narda aus dem Märchen immer bewundert und sich an ihre Stelle gewünscht. Jetzt war es soweit.
»Ich habe über deine Worte nachgedacht«, sagte Rollo plötzlich. »Als wir Zeuge des Gruppensuizids geworden sind. Du hast recht. Wenn wir nicht etwas unternehmen, ist es wirklich bald aus mit uns.«
Das Mädchen war einen Augenblick lang überrascht. Seit langer Zeit versuchte sie, ihre Freunde zu einer Flucht zu bewegen, immer vergeblich. Sie nahm die Worte Rollos auf wie einen rettenden Strohhalm.
»Und jetzt haben wir ein Ziel«, entgegnete sie flüsternd. »Ginger. Eine freie Welt, frei von den Grauen und frei vom Konzil. Und dort werde ich David treffen!«
Ihre Stimme war so entschlossen und sicher, daß Rollo auf einen Einwand verzichtete. »Aber wann und wie?«
»In zwei Wochen ist mein siebzehnter Geburtstag«, sagte Narda ruhig. »Und bis dahin ist Greeny bestimmt wieder gesund. Ohne die Zwillinge gehen wir hier nicht weg!«
»Aber wie?«
»Mit den Gleitern der Lagerleitung. Hör zu …«
Rollo fühlte sich erleichtert, daß endlich die Entscheidung gefallen war. Plötzlich konnte er es nicht mehr verstehen, daß er sich so lange gegen Nardas Vorhaben gewehrt hatte. Es überraschte ihn nicht, daß sich das Mädchen schon
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