Die Terranauten 071 - Der Jahrmillionen-Fluch
Aber beschränken wir uns deshalb auf das Wesentliche.«
»Worauf ich sehnsüchtig warte!« schnarrte sie.
Schwang noch immer Haß in ihrer Stimme mit? Haß wegen der praktizierten Überlegenheit des Außerirdischen?
»Ich kenne eine Rasse mit Namen Baahrsans. Hoffentlich ist es mir gelungen, damit ein Klanggebilde zu schaffen, das einem menschlich verständlichen Namen entspricht. Die Baahrsans leben im vollkommenen Einklang mit der Natur. Sie würden sagen: wie die Tiere! Und doch sind es keine Tiere, sondern hochentwickelte Geschöpfe. All ihre Intelligenz beschäftigt sich mit der sie umgebenden Natur. Wesentlich eindringlicher, als es bei einem Naturforscher sein könnte. Sie sind ein integraler Bestandteil ihrer Natur. Das schließt auch mit ein, daß sie keine Medizin, keine Wissenschaften, keine sogenannte Kultur, die doch nur ein unnatürliches Kunstprodukt sein kann, auch keinen Krieg, keine Raumfahrt und nichts kennen, was nicht direkt mit der Ökologie ihres Planeten zusammenhängt. Würden Sie dort auftauchen, auf ihrem Dschungelplaneten, müßten Sie sterben. Zumindest würden die Baahrsans alles tun, Sie umzubringen, weil Sie ein Störfaktor in der komplizierten Ökologie sind. Die Baahrsans leben, wenn Sie so wollen, in einer Art Wirklichkeitstraum, in einem ständigen Rausch. Sie sind zufrieden, sie sind glücklich, und ihre einzigen Sorgen gelten der Ökologie. Deshalb sterben sie auch, wenn ihre Zeit gekommen ist, ohne etwas dagegen tun zu wollen. Deshalb werden ihre Kranken von Raubtieren aufgefressen und nicht beerdigt, weil es natürlich ist. Deshalb …«
»Hören Sie auf, Cantos! Sie fliegen mit mir eine Milliarde Lichtjahre durch den Weltraum – so weit, daß man nicht einmal mehr unsere Milchstraße sehen kann, geschweige denn die Sonne, die seit Jahrmilliarden unseren Planeten Erde bescheint – nur, um mir von den Baahrsans zu erzählen? So, wie sie diese Rasse schildern, dürften Sie niemals das Recht haben, über die Menschheit zu urteilen.«
»Tue ich das denn?«
Chan de Nouille blieb ihm die Antwort schuldig. Sekundenlang herrschte Schweigen. Es war unerträglich, denn dieses Schweigen addierte sich mit dem Anblick des endlosen Weltraums zu einem fremdartigen, erschreckenden, panikerzeugenden und niederschmetternden Eindruck.
Chan de Nouille zitterte, und sie brauchte viel Kraft, um ihre Beherrschung aufrechtzuhalten.
Allmählich kam sie auf den Gedanken, daß Cantos sie vielleicht nur quälen wollte. Doch der Versuch einer Gehirnwäsche?
Cantos sprach weiter: »Ich erzählte Ihnen von den Baahrsans und möchte es nicht versäumen, auch das andere Extrem einer intelligenten Rasse zu umschreiben.«
»Da bin ich aber gespannt. Wie heißt sie denn? Auch so ein exotischer Name?«
»Bei weitem nicht, Chan de Nouille. Diese Rasse ist die Menschheit!«
Die Große Graue lachte gekünstelt.
»Und jetzt kann ich gleich selber feststellen, ob Sie mit Ihrer Behauptung, nicht über die Menschheit zu urteilen, geschweige denn zu richten, die Wahrheit oder die Unwahrheit gesagt haben.«
»Die Menschheit lebte auch einmal im Einklang mit der Natur. Es scheint schon sehr lange her zu sein.«
»Keine Anzüglichkeiten, bitte!«
»Die Evolution, wie ihr es nennt, hat diesen Einklang nicht von heute auf morgen zerstört, sondern langsam die tiefe Kluft wachsen lassen. Sehr langsam sogar.«
»Lassen Sie mich raten, Cantos: Seit ich geboren bin?«
»Früher, beste Chan, wesentlich früher begann die Entwicklung – eben mit dem Beginn der menschlichen Evolution. Doch Sie haben recht: Als Sie geboren wurden, trat wieder mal eine Beschleunigung in der Entwicklung ein.«
»Das müssen Sie mir näher erläutern. Deshalb sind wir doch da, nicht wahr, Herr Lehrer? Sie wollten doch nicht als Schulmeister erscheinen. Was glauben Sie, was Sie sind? Ein Außerirdischer, der sich anmaßt, die Menschheit zu kennen, ihre Motive, ihre Beweggründe, ihre seelischen Größen und Abgründe, ihr …«
»Der Mensch hat von jeher versucht, sich von der Natur unabhängig zu machen, und vergaß dabei, daß er selber ein Bestandteil der Natur geblieben ist.«
»Ich gebe es auf, Cantos. Reden Sie weiter, und hoffen Sie darauf, daß ich zuhöre.«
»Bis heute ist der Mensch ein Stück Natur, auch wenn er das nicht wahrhaben will. Der Mensch ist ein intelligentes Raubtier, das sich viel zu sehr vermehrte und allein schon deshalb nicht mehr in Einklang mit der Natur leben kann. Als die Steinzeitmenschen noch mit
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