Die Terranauten 080 - Der Himmelsberg
kein Werkzeug mehr richtig halten. Wir machten uns auf den Heimweg. Die Flüche, die Garss dabei unentwegt ausstieß, ließen mich völlig kalt.
Die ganze Zeit über dachte ich an Jelina. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie sie jetzt wohl aussah. Ein gutes Jahr war vergangen, seit ich sie zuletzt gesehen hatte. Ein Jahr war eine lange Zeit auf Lagund. Aus Jelina mußte inzwischen ein Mädchen geworden sein, das an der Schwelle zum Frausein stand, genauso, wie ich jetzt fast das Alter der Mannbarkeit erreicht hatte.
Ob sie mich wiedererkennen würde? Natürlich würde sie mich wiedererkennen! Ich war mir da ganz sicher. Schließlich hatte sie ihren Hilferuf ja auch an mich gerichtet.
Ich ertappte mich dabei, daß ich praktisch gar nicht mehr mit der Möglichkeit ihres Todes rechnete. Ihr Ruf mußte aus der Zukunft gekommen sein. Er mußte es ganz einfach! Ich weigerte mich, etwas anderes zu glauben.
Mit einem von zwei Ingxis gezogenen Wagen kehrten Garss und ich zu unserem Clandorf zurück. Auf den Feldern wurde natürlich noch überall hart gearbeitet. Manch mißgünstiger Blick traf uns, als wir gemütlich auf dem Kutschbock sitzend vorbeifuhren.
Auch im Dorf selbst waren die Clanbrüder und -schwestern noch eifrig am Werk. Das Geräusch der Maschinen in der Eisengießerei, der Weberei, der Ziegelei und all der anderen Werkstätten legte Zeugnis dafür ab, daß der Feierabend noch ein Stück entfernt war.
Gleich nachdem der Wagen die ersten Häuser passiert hatte, sprang ich ab. Garss wäre sonst glatt noch auf den Gedanken gekommen, mich zum Einsatzhaus zu bringen und mir für den Rest des Tages eine neue Arbeit zuteilen zu lassen. Danach stand mir der Sinn heute aber ganz bestimmt nicht mehr.
Auf leicht verschlungenen Pfaden erreichte ich das Haus der Neunjährigen, in dem ich zusammen mit meinen gleichaltrigen Clanbrüdern und -schwestern wohnte und lebte.
Um diese Zeit war es im Haus noch sehr ruhig, da fast alle irgendwo arbeiteten. Nur Dirk und Moss waren anwesend. Dirk hatte sich vor ein paar Tagen den Arm gebrochen und war gegenwärtig arbeitsunfähig. Und Moss spielte wieder einmal den Kranken. Die beiden waren vom Clanvater dazu angehalten worden, die Zeit zu nutzen und den Dialekt der Althar-Sippe zu lernen, mit der unser Clan Handel trieb. Aber dazu hatten Dirk und Moss offenbar wenig Lust. Als sie mich sahen, forderten sie mich zu einer Partie Synth auf. Normalerweise spielte ich Synth unheimlich gerne. Heute aber nicht, und deshalb lehnte ich das Angebot brüsk ab. Wieder wurde ich mit Verwünschungen bedacht, die mich aber auch jetzt in keiner Weise berührten. Ich ließ die beiden stehen und ging in mein Zimmer.
Malis, mit dem ich das Zimmer teilte, war nicht da. Er würde auch noch ein paar Tage wegbleiben, denn er war mit der Expedition unterwegs, die ein neues Tal zur Gründung eines Unterclans suchte. Ich hatte Malis um seine Teilnahme an der Expedition beneidet, weil ich selbst gerne dabeigewesen wäre. Jetzt aber ärgerte mich mein Zurückbleiben im Dorf gar nicht mehr. Falls mich Jelina wieder rief, mußte ich bereit sein.
Ich legte mich aufs Bett und schloß die Augen. Dann versuchte ich mit aller inneren Kraft, das Licht der Erkenntnis wieder zum Brennen zu bringen. Natürlich kam nichts dabei heraus. Ich hatte keinen Einfluß auf das Licht. Die Stimmen und Bilder in meinem Kopf kamen ganz nach ihrem eigenen Belieben. Das einzige, was mir meine Bemühungen einbrachten, waren Kopfschmerzen, weil ich mich wohl etwas zu sehr angestrengt hatte. Danach brach ich das aussichtslose Tun ab. Es gab Dinge, die man ganz einfach nicht erzwingen konnte. In diesem Punkt hatte unser Clanmagister Peryl wohl recht, auch wenn er ansonsten ein rechter Schwätzer war.
Um die Kopfschmerzen wieder zu vertreiben und mich ein bißchen zu entspannen, beschloß ich, mit Dirk und Moss doch ein paar Partien Synth zu spielen. Ich fand die beiden in Moss’ Zimmer, wo sie mit mißvergnügten Gesichtern rums aßen und nichts Bestimmtes taten. Als sie mich sahen, hellten sich ihre Mienen auf.
»Spielst du doch mit, Thor?« fragte Moss begierig.
Für ihn war Synth das halbe Leben, ja, vielleicht sogar das ganze. Diesen Eindruck hatte ich jedenfalls manchmal.
»Ja«, nickte ich, »ich spiele mit. Hol die Steine!«
Das brauchte ich Moss nicht zweimal zu sagen. Er trug immer ein Synthspiel bei sich und brauchte jetzt keine drei Herzschläge, um das Kästchen aus der Tasche zu holen.
»Um was spielen wir?«
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