Die Terranauten 080 - Der Himmelsberg
…«
»Kein Aber! Schluß mit den Träumereien und arbeiten!«
Garss’ unmißverständliche Worte duldeten keinen Widerstand mehr. Achselzuckend packte ich meinen Hammer fester und fuhr fort, Pflöcke für das neue Ingxi-Gatter in den Boden zu treiben. Ich wollte vermeiden, daß mich Garss wegen Ungehorsams beim Clanvater meldete. Ulgor pflegte für solche Vergehen harte Strafen zu verhängen.
Mechanisch arbeitete ich, aber mit meinen Gedanken war ich nicht bei der Sache.
Nur zu genau wußte ich, daß ich mir nichts einbildete. Ich hatte Jelinas Stimme gehört! Nicht mit den Ohren, sondern direkt in meinem Kopf. Dort wo ich des öfteren Stimmen hörte und Ereignisse sah, die an einem ganz anderen Ort und zu einem ganz anderen Zeitpunkt stattfanden. Ein paarmal hatte sich herausgestellt, daß diese Ereignisse der Vergangenheit angehörten. Mehrmals aber war ich auch Zeuge von Dingen geworden, die sich erst in der Zukunft abspielen würden.
Mit einer einzigen Ausnahme glaubte mir keiner meiner Clanbrüder und -schwestern. Sie alle hielten mich für einen Träumer, der nur dummes Zeug im Kopf hatte, und ich hatte es eigentlich längst aufgegeben, sie vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Kein Wort davon. Nur manchmal, wenn ich etwas besonders Bedeutsames sah oder hörte, ging ich von dieser Regel ab, so wie gerade, als ich Garss von Jelina erzählt hatte.
Einen einzigen Menschen gab es, der an das Licht der Erkenntnis glaubte, das dann und wann in mir aufleuchtete. Und dieser Mensch war niemand anderer als Jelina.
Warum gerade sie mich nicht für einen Träumer hielt?
Nun, die Antwort auf diese Frage war ganz einfach: Jelina hatte dieselbe Gabe wie ich. Auch sie hörte fremde Stimmen und sah ferne Ereignisse. Kein Wunder, daß jeder Angehörige des Riglan-Clans in ihr deshalb ebenfalls eine Träumerin gesehen hatte. Und als sie vor einem Jahr spurlos verschwand, hieß es, daß sie irgendwelchen Hirngespinsten nachgegangen und dabei zu Tode gekommen war.
Ich hatte mich immer geweigert, an ihren Tod zu glauben, obgleich alles dafür sprach, daß sie wirklich nicht mehr lebte. Seit einem Jahr klammerte ich mich an die Hoffnung, daß sie eines Tages wieder im Tal auftauchen würde. Und jetzt sah es tatsächlich so aus, als ob meine Hoffnungen nicht ganz unberechtigt waren.
Ich hatte ihre Stimme gehört!
Nun konnte ich die ehrwürdigen Clanahnen nur darum anflehen, daß ihr Hilferuf nicht aus der Vergangenheit, sondern aus der Zukunft gekommen war. Außerdem mußte ich darauf warten, daß das Licht der Erkenntnis in mir hell genug aufleuchtete, um Anhaltspunkte gewinnen zu können, wo sie sich gegenwärtig befand.
Und wenn ich das wußte … Sämtliche Lavaströme Lagunds würden mich nicht daran hindern können, sie zu retten.
*
»Ruhig, ganz ruhig!«
Laacon Merlander strahlte seine Gedanken mit aller Intensität ab, der er fähig war. Aber er spürte mit schmerzlicher Deutlichkeit, daß sein empathischer Einfluß auf die Mitglieder der Treiberloge mehr und mehr nachließ. Er war kaum noch in der Lage, die PSI-Strömungen der fünf Männer und Frauen richtig zu koordinieren.
Es kann nicht gutgehen, dachte der Logenmeister. Und es wird auch nicht gutgehen!
Schon hatte er den Eindruck, daß der strahlende Glanz der Mistelblüte im Begriff war, sich zu trüben. Ein paarmal bereits hatte er ein befremdliches Flackern wahrgenommen, ein Flackern, das wie ein Fanal kommenden Unheils wirkte.
Nein, es konnte nicht gutgehen! Die Katastrophe kündigte sich unmißverständlich an.
Obwohl er wußte, daß es für seine eigene Konzentration nicht gut war, riskierte er es abermals, die Augen zu öffnen. Er warf einen schnellen Blick auf den großen Bildschirm, der ein plastisches Abbild des Mediums lieferte, durch das sich der Raumer vorwärts bewegte.
Das vertraute wesenlose Grau von Weltraum II war auf dem Holokissen sichtbar, konturenlos und undurchdringlich, ein Bild scheinbarer Normalität. Aber Laacon Merlander war ein Logenmeister mit jahrzehntelanger Erfahrung. Er verstand es, auch kleinste Abweichungen von der Norm, die einem Unerfahrenen vermutlich gar nicht aufgefallen wären, richtig zu deuten. Diese kaum erkennbaren rosafarbenen Wellenlinien, die das Grau durchkreuzten …
Keine Frage, die Harmonie zwischen Raumschiff und Weltraum II war bedroht. Irgend etwas beeinträchtigte das Gefüge. Es gab einen Störfaktor.
Und Laacon Merlander war sich ziemlich sicher, daß er diesen Störfaktor kannte.
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