Die Terranauten 084 - Die Gen-Parasiten
Himmel über ihr war eine milchiggelbe Glocke, erhellt vom Licht Hunderter Sonnen. Nein, der Einsame Wanderer war nicht einsam. Im Gegenteil. Manchmal schwollen die Stimmen in ihrem Kopf an, dann verstummten sie wieder. Diese Welt war von Leben erfüllt. Leben, das wie im Falle der Steinschollen nicht auf den ersten Blick als Leben erkennbar war.
Das Steinland ging schließlich in hügeliges Terrain über, das mit üppig wucherndem Dornengras bewachsen war. Am Horizont erhoben sich die blauschwarzen Konturen eines fernen Massivs. Die Gravitationseinflüsse wechselten nun nicht mehr so rasch. Narda kam schneller voran. Bald erreichte sie das Baumland. Es waren eigenartige, wie verkrüppelt wirkende Pflanzen. Äste und Zweige hatten eine dunkle, fast schwarze Tönung, und die mehrfach unterteilten Blätter leuchteten in einem giftigen Grün. Narda sah auf die Anzeige des Kombigerätes an ihrem Handgelenk. Grün bedeutete Chlorophyll. Und Chlorophyll Sauerstoff. Sie hatte sich nicht getäuscht. Das winzige elektronische Display zeigte eine atembare Atmosphäre an. Sie löste den Helm und atmete vorsichtig ein. Sie hustete und verzog das Gesicht.
»Was für ein ekelhafter Gestank«, brachte sie hervor. Schwefelwasserstoff. In recht hoher Konzentration. Ungefährlich zwar, aber unangenehm. Narda schüttelte sich und marschierte weiter. Wasser. Sie mußte Wasser finden, um den brennenden Durst löschen zu können. Dann konnte sie ihr weiteres Vorgehen planen.
Stundenlang wanderte sie dahin. Über Hügel hinweg. Durch hüfthohes Gras, dessen Dornen und Widerhaken über das elastische Material ihres Raumanzugs kratzten. Der Schwerkrafteinfluß war hier von angenehmer Beständigkeit. Manchmal sah sie einen oder auch mehrere der gewaltigen Wirbel, die bis in die obersten Schichten der Atmosphäre hinaufragten. Und einmal glaubte sie, am milchigen Weiß des Himmels einen schwarzen Punkt wahrgenommen zu haben. Einen Punkt, der sich bewegte. Das Gebirge am Horizont schien nicht näher zu kommen.
Und es wurde auch nicht dunkler.
Der Einsame Wanderer kannte keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Hier war es immerwährend hell.
Der Durst wurde immer schlimmer. Er war wie eine lodernde Flamme in ihrem Innern. Ein versengendes Feuer, das sie innerlich verbrannte. An manchen Dorngrasstengeln wuchsen dunkelgrüne Früchte, die Flüssigkeit absonderten, wenn man sie berührte. Der Drang, eine dieser Früchte abzureißen und von der Flüssigkeit zu kosten, wurde beinah übermächtig in ihr. Doch sie hatte keine Möglichkeit festzustellen, ob die Saftfrüchte ihrem Metabolismus verträglich waren. Und ohne in diesem Punkt Gewißheit zu haben, lief sie Gefahr, sich zu vergiften.
Als sie einige Stunden später glaubte, es nicht mehr aushallen zu können, vernahm sie ein piepsendes Wimmern. Narda blieb ruckartig stehen und sah sich um. Nichts. Nur Grasland und Hügel und das unveränderlich ferne Gebirge am Horizont. Aber das Piepsen blieb. Sie hatte sich nicht geirrt. Und es erklang in ihrer unmittelbaren Nähe.
Sie sah das Loch erst, als sie direkt davor stand, und es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre hineingefallen. Am Boden der Grube hockte ein pelziges, kaum einen Meter großes Geschöpf. Glitzernde Knopfaugen betrachteten sie forschend. Dann richtete sich das Geschöpf auf, piepste noch einmal und sagte:
»Kannst du mir helfen, bitte?«
*
Als David die Augen öffnete, blickte er auf einen blau schimmernden Sehring, der aus Tausenden von Einzelfacetten zusammengesetzt war.
»Ruhig, Freund«, sagte eine kehlige Stimme. »Ganz ruhig.«
Eine gelenklose, nur aus Biegknochen und runzliger, ledriger Haut zu bestehen scheinende Hand bewegte sich auf sein Gesicht zu und berührte seine Wangen.
»Du hast Glück gehabt, Freund«, fuhr die kehlige Stimme fort. »Der Fänger hätte dir das Leben genommen, wären wir nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen.«
»Der … Fänger …«
Seine eigene Stimme kratzte in der Kehle. Die Worte waren wie rauhe Pfropfen, die sein Atmen behinderten. Er wollte sich aufrichten. Sofort tanzten feurige Schleier vor seinen Augen. Der Fremde setzte ihm einen tönernen Kelch an die Lippen. Etwas Süßes berührte seinen Gaumen. David schluckte und fühlte gleich darauf, wie sich Wärme in seinem Innern ausbreitete.
»Wer … wer bist du?« fragte er.
Der Sehring glühte heller. Beide Arme wurden erhoben, die Biegfinger abgespreizt. »Ich bin Mramad, Führer der Sippe der Amrymm-Hoth mit
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