Die Terranauten 086 - Die Gehetzte von Terra
beiden Kontrollmonitore erschien in diesem Moment die große, athletische Gestalt eines Mannes.
Eines Mannes mit gelben Augen.
*
Die Jäger
»… ist es einfach unglaublich, wunderbar, herzergreifend. Schaut euch das an, liebe Leute, schaut es euch an! Aus den schwarzen, eisigen Weltraumtiefen kommen sie zu uns, jeder ein schimmernder Leviathan, jeder ein Berg voller herrlicher Köstlichkeiten …
Liebe Leute, Video-Narren, Freunde und Fans, hier ist Almar Almar von RMN-CHIL, live und dreidimensional aus dem südamerikanischen Hochland, wo das Wunder geschieht. Jenes Wunder, worauf wir alle so lange schon gewartet haben.
Schaut es euch an und staunt!«
Die Stimme des RMN-Kommentators überschlug sich fast. Sie klang schrill und emotional und es waren nicht die Worte, sondern der Tonfall, der Max von Valdec Schauer über den Rücken laufen ließ.
Natürlich war Almar Almar eine Fiktion. Frosts Erfindung. Eine Computersimulation, bereits auf Lancia entworfen, nach den neuesten Erkenntnissen der Massenpsychologie konzipiert und nun in der irdischen Provinz SCHIL uraufgeführt.
Valdec verzog die Lippen zu einem zynischen Lächeln.
Schmierentheater, dachte er abfällig. Grell, überspannt, primitiv – also genau das richtige für diese Relax.
»Da kommen sie, vom Himmel her … Freunde und Fans, euer beliebter Video-Plauderer meldet sich live aus der Provinz CHIL. Der Hunger hat ein Ende. Valdec, unser Retter, er hat das Unmögliche geschafft.
Wir sind überwältigt, fassungslos und dankbar.
Da … die ersten Container! Schaut und staunt, liebe Leute!«
In dem Holo-Würfel, den Valdec betrachtete, schälten sich aus dem makellosen Blau des Himmels silbrig blitzende zigarrenförmige Umrisse.
Container mit angeflanschten MHD-Blöcken, die auf den elektromagnetischen Feldlinien gemächlich dem großen, menschenüberlaufenen Platz entgegenfielen, der sich vor den Toren von Ciudad Nueva Santiago ausbreitete.
Zufrieden stellte Valdec bei der Umblendung und den Aufnahmen der andächtig wartenden Massen fest, daß die in der Menge postierten Kaiser-Grauen völlig unauffällig waren.
Erneut eine Umblendung.
Der erste Container erreichte den Erdboden.
Mobile Entladeautomaten machten sich daran, ihn zu zerlegen. Transporter schwebten in langen Kolonnen heran.
Umblendung.
Dazu der hysterische, suggestive Kommentar, von dem niemand vermuten konnte, daß es sich dabei um die Schöpfung eines Computers handelte.
Eine Apartment-Wohnung wurde sichtbar. Von zwei männlichen Relax bewohnt, die zwischen den Fragen eines Nachrichtenmannes ekstatisch die Wählscheibe ihres Hausterminals betätigten. Aus dem Lieferschacht ergossen sich in scheinbar unerschöpflicher Menge Nahrungsmittel – Echtbutter, Echtfleisch, Echtbrot, Ersatztequilla, Proteinflocken, Frischobst …
Selbst Valdec fühlte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief.
Selbstverständlich handelte es sich bei den beiden Relax und dem Nachrichtenmann um eigens für diese Szene ausgebildete Gardisten. Noch war die Löschung der orbitalen Container nicht so weit fortgeschritten, um ihre Nahrungsmittelfracht in die kontinentalen oder regionalen Verteilernetze einzuspeisen.
Die Szene war reine Propaganda. Die unter den extremen Versorgungsschwierigkeiten leidenden Relax und Arbiter sollten überzeugt werden, daß die Zeit der Rationierungen vorbei war.
Valdec hatte die Macht auf der Erde wieder übernommen – und damit gehörte auch der Hunger der Vergangenheit an.
Die Sendung war geschickt gemacht.
Und die elektronisch ermittelten Einschaltquoten lagen weltweit bei fast fünfundachtzig Prozent.
Fast die ganze Bevölkerung der Erde wurde Zeuge, wie die Hungerrevolten in der Region CHIL zusammenbrachen und sich köstliche, exquisite Lebensmittel aus den Containerbäuchen ergossen.
Die Not hat ein Ende! signalisierte die Live-Übertragung, die von allen RMN-Sendern ausgestrahlt wurde. Valdec ist der Retter der Erde!
Erneuter Szenenwechsel.
Die Straßen von Ciudad Nueva Santiago. Tanzende, lachende, glückliche Menschen.
Blasse, dünne Kinder am Straßenrand, die mit vollen Backen kauten. Männer, die Würste schwenkten und Kartons voller selbsterhitzender Konserven schleppten.
»Primitiv, aber wirkungsvoll«, sagte Sicherheitsmanag Frost, der gemeinsam mit Valdec im Berliner Kaiser-Turm die Übertragung verfolgte. »Sind die Szenen gestellt?«
Valdec drehte den Kopf.
»Es handelt sich um das nördliche Viertel von Santiago«, erklärte er.
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