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Die Terranauten TB 01 - Sternenstaub

Die Terranauten TB 01 - Sternenstaub

Titel: Die Terranauten TB 01 - Sternenstaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf W. Liersch
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fast über sich das Donnern der zusammenprallenden Eisschollen.
    Die Welt war in Aufruhr geraten. Es war nicht mehr das grandiose Driften der Eisberge, das Prasseln der kleinen Eisteilchen, der ab und zu dunkle Kopf einer Robbe oder eines Walrosses, das zu harpunieren lohnte.
    Hier veränderte sich die Welt. Wie überall. Und der Eskimo-Schamane wußte es. Er kam mit seinem Hundeschlitten nur mühsam voran. Das Eis hatte sich derart ineinander verschoben, daß er immer wieder abkoppeln mußte, um den Schlitten über die Abgründe oder Stufen zu heben. Die Tiere würden nicht mehr lange mitmachen. Dies war kein üblicher Sieben-Tage-Ausflug, das war eine Reise, die in die Unendlichkeit führte. Am Ende dieser Unendlichkeit stand, was?
    Der Eskimo-Schamane spürte nicht mehr den Schmerz, den die jagenden Eiskörner aufprallend auf seinem Gesicht verursachten. Er wankte hinter seinem Schlitten her, unterstützte die Hunde mit kräftigen Stößen seiner starken Hände und mit aufmunternden Zurufen. Alles tat ihm weh, er hatte Hunger, Durst, war müde, aber er mußte weitermachen, weitergehen, dem Ruf der Pflanze folgen.
    Der Eskimo-Schamane stieß einen heiseren Ruf aus, und die Schlittenhunde warfen sich sofort in den Schnee, japsend, völlig erschöpft. Dem Schamanen erging es kaum besser. Er sank über dem Schlitten zusammen.
    Wachträume. Man nannte ihn nicht umsonst den Schamanen. Er hatte die Tradition bewahrt und sich seinen Ruf verdient. Als Seelsorger, Wunderheiler, Heiliger. Ein Mensch, zu dem die Dinge sprachen, nicht nur die Tiere oder Pflanzen. Auch die Steine konnten ihre Geschichte erzählen, und er verstand sie, weil er zuhören konnte. Weil seine Ohren oder sein Geist oder seine Seele anders waren als die anderer Menschen.
    Er hatte die verschiedenen Sprachen der Wesen und der Dinge verstanden, aber niemals war ein Ruf so fordernd gewesen wie vor wenigen Wochen. Er hatte lange gebraucht, bis er verstanden hatte, daß er hingehen mußte, daß es allein auf ihn ankam, etwas zu tun, das andere nicht tun konnten.
    Ein Knistern direkt unter ihm machte ihn wach. Das Knistern wurde lauter, wurde zu einem Brechen und Tosen. Ein breiter häßlicher Riß, so lang wie die Welt, klaffte auf bis zum Horizont.
    Der Eskimo-Schamane schrie. Unter seinen heftigen Kommandos zogen sich die Schlittenhunde zurück. Er selbst zerrte wie verrückt am Schlitten, brachte ihn Zentimeter um Zentimeter zurück, aber er konnte nicht verhindern, daß die ersten beiden Hunde im Wasser lagen, das schwarz emporsprudelte. Jaulend und heulend kämpften sie verzweifelt, aber sie schafften es nicht, aus der meterhohen Spalte heraufzukommen. Der Eskimo-Schamane kappte die Ledergurte.
    Zwei der Hunde lagen im eisigen Wasser, tief unter ihm, hinter dem Abgrund aus Eis, kurze Zeit zappelten sie, dann wurden sie still und versanken.
    Der Eskimo-Schamane sah sich um. Hinter ihm stand die kleine weiße Sonne dicht über dem Horizont. In diesen Tagen würde sie sich kaum höher erheben. Das Kriechen der Sonne über dem Horizont war für den Eskimo-Schamanen vertraut, aber er träumte von Ländern, wo sie hoch am Himmel stand, so hoch, daß sie keinen Schatten mehr warf.
    Die lange Dämmerung kam, sie machte das Eis, das hoch aufgetürmte Eis, das furchtbare Eis seines Lebens grau, die Schatten blau und brachte die Dunkelheit greifbar näher.
    Der Eskimo-Schamane war ein praktisch denkender Mensch. Ab und zu hatte seine Umwelt einen anderen Eindruck, aber das täuschte. Der Eskimo-Schamane hatte nur weitaus mehr Eindrücke zu verarbeiten als ein sogenannter normaler Mensch – und verhielt sich entsprechend.
    Er zählte seine Vorräte. Viel war das nicht mehr. Ein paar Konserven. Speck der sich hielt, Wasser brauchte er nicht. Etwas reinen Alkohol, den er sich zu Trinkbarem verdünnen konnte, wenn ihm danach war.
    Neun Schlittenhunde hatte er gehabt, jetzt waren es nur noch sieben. Mit einem Schrecken, der ihm plötzlich durch den Kopf schoß, dachte er daran, wann es wohl an der Zeit war, die Hunde zu verzehren, um weiter zu kommen.
    Das Eis schloß sich langsam wieder. Bald würde die Spalte wieder dicht sein und wieder auseinanderklaffen, wie eine Zelle, die sich dehnt und verengt, um leben zu können.

VIII
    »An meine Brust, Jana!« kommandierte der mächtige Mann. Er war klein, vielleicht ein und einen halben Meter hoch, aber sicher einen Meter breit. Und er war nicht fett. Er war anders. Er war kein Mensch. Er war ein Nichtmensch, einer der

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