Die Terranauten TB 08 - Die graue Spur
erschießen ließ, ohne Anhörung, ohne ihr Gelegenheit zur Rechtfertigung zu geben.
Verrat an ihrer Organisation war in den Augen der Grauen das schlimmste aller Verbrechen.
All diese Fragen lagen mir auf der Zunge, doch da verblaßte das Leuchten der goldenen Mistelblüte, der Weltraum II glitt enttäuscht zurück in seine verborgenen, fremdartigen Regionen, und über der durchsichtigen Protopkuppel erschien wieder das vertraute Bild des Alls: Finsternis, in der erstarrte Lichtpunkte hingen.
Danach ging alles zu schnell, als daß ich noch Zeit fand, mir über Mandorla den Kopf zu zerbrechen. Ein Fehler, wie sich schließlich herausstellte. Einer von den Fehlern, die man nur einmal begeht, weil ihre Konsequenzen tödlich sind.
VI
Im Rückblick erscheint mir vieles klarer, vieles so offensichtlich, daß ich noch immer nicht begreife, wie ich die Hinweise hatte übersehen können. Andererseits – ich bin nur ein normaler Mensch, kein PSI-begabter Treiber. Wenn selbst die Terranauten keinen Argwohn hegten, wie hätte ich dann die Maske durchschauen können?
Der Wahrheit am nächsten war ich vermutlich in jenen zeitlosen Momenten im Weltraum II.
Merkwürdig, daß es mir damals nur am Rande aufgefallen ist. Oder doch nicht so merkwürdig, wenn ich bedenke, daß ich kurz zuvor nur mit knapper Not der Falle des Weltraum II entronnen war. Mandorlas schlafende, betäubte Hälfte hatte so unnahbar wie immer gewirkt: Braune Haut unter schneeweißem Haar, das Gesicht selbst im Barbituratschlaf nicht entspannt, sondern zu einer Maske der Konzentration gefroren.
Aber die wache Hälfte, die phantomhafte Mandorla, sichtbar gewordenes Abbild ihres luzid träumenden Unterbewußtseins … Ihr Gesicht war weich gewesen, fraulich, menschlich. Kein Rauhreif befand sich in den Augen, kein Frost verriet sich im sanften Klang ihrer Stimme. Das war die Mandorla, die David terGorden durch seine unbegreifliche empathische Ausstrahlung aus dem Dornröschenschlaf der Konditionierung geweckt hatte.
Und noch während sie sprach, war dieses menschliche Antlitz nach und nach wieder zu der Maske geworden, die allen Queens trotz der individuellen Unterschiede etwas Austauschbares verleiht.
Ohne es zu ahnen, war ich Zeuge geworden, wie die Liebe, die ihr Herz vorübergehend erwärmt hatte, immer mehr erkaltete.
Bald sollte sie nicht einmal mehr eine Erinnerung darstellen.
Ich glaube, der einzige an Bord, der etwas geahnt hat, war Jhimer gewesen, Jhimer, der außer seiner Arbeit als Treiber noch die alten, rostigen Maschinen des Wracks instandhielt, das den stolzen Namen SIMON BOLIVAR trug.
Jhimer war ein untersetzter, dicklicher Mann mit feuerroten Haaren, die er lang und zu einem Zopf geflochten trug. Niemals drehte er einem von uns den Rücken zu. Zuerst hielt ich ihn für eine paranoide Persönlichkeit, bis mir jemand – Codette – sagte, daß er von Tulonon stammte, einer Welt in der 24. Stellaren Provinz. Tulonon war gleich zu Beginn des Großen Exodus’ besiedelt worden, als die Kolonisation extraterrestrischer Planeten noch Neuland darstellte. Bald wurde deutlich, daß Tulonon menschenfeindlich war und niemals hätte besiedelt werden dürfen. Die meisten Kolonisten starben im ersten Jahr nach der Landung, und der Rest mußte einen immerwährenden Existenzkampf mit der Flora und Fauna dieses Planeten führen.
Selbst heute sind nur einige kleine Landstriche ohne Gefahr für Leib und Leben bewohnbar, und Vorsicht, Mißtrauen und Kampfbereitschaft sind den Tulonons zur zweiten Haut geworden.
Jhimer war nicht ängstlich, wie Cram behauptet hatte; er war nur so vorsichtig, wie man auf Tulonon sein mußte, um zu überleben. Er überprüfte seine Umwelt ständig auf potentielle Gefahren, und Mandorla muß ihm als großes Risiko erschienen sein. Doch selbst Jhimer, der aus Prinzip weder Mensch, Tier noch Maschine traute, fand keinen Anhaltspunkt für seinen schwelenden Verdacht.
Zuweilen kommt mir der Gedanke, daß Mandorla selbst noch nichts davon wußte. Daß sie ihren Entschluß bereits gefaßt hatte, ohne es sich selbst gegenüber einzugestehen.
Wenn man Stück für Stück zu Eis gefriert, kommen einem die seltsamsten Überlegungen.
Wir fielen aus dem Weltraum II, fünfzig Millionen Kilometer von der pulsierenden Sonne entfernt, und mein erster Gedanke galt dem schwarzäugigen Treiber, dessen Attentat ich nur entgangen war, indem ich ein Teil meines Ichs geopfert hatte.
»Bei Myriam!« stieß Jhimer hervor. Entsetzt starrte
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