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Die Terranauten TB 15 - Im 176. Jahr

Die Terranauten TB 15 - Im 176. Jahr

Titel: Die Terranauten TB 15 - Im 176. Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weiler
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eine Reflexbewegung, und er bedauerte sie im gleichen Augenblick. Der blasse Energiefinger tastete über das halbtransparente Material des Gebildes, und dort, wo er auftraf, blinzelten dunkle Augen. Es platzte nicht auseinander. Es hörte nicht einmal auf zu wachsen.
    Giltan steckte die Waffe wieder fort. Im Helmlautsprecher war eine ungeduldige, besorgte Stimme. Er ignorierte sie. Irgendwann, eine Ewigkeit später, löste sich das Kristallgebilde auf, und Millionen von winzigen Bruchstücken schwebten wie von Geisterhand getragen in die Höhe, immer weiter hinauf, um sich dann irgendwo dort oben mit den Kristallstaubseen zu vereinigen.
    Hendrik kippte um und fiel mit dem Gesicht nach vorn in den Schnee. Giltan untersuchte den Reglosen kurz.
    Dann wandte er sich um und machte sich auf den Rückweg. »Hendrik ist tot«, sagte er nur. Er schaltete den Empfänger der externen Kommunikation ab. Er sprach erst wieder, als er die Station erreicht hatte, drei Stunden später.
     
    Die Schattenleguane schnaubten und zischten. Es waren vertraute Laute, Erinnerungen an die Heimat, Erinnerungen an das Leben davor. Tairit wußte, daß er Glück gehabt hatte. Doppeltes Glück sogar. Er hatte den Angriff der Städter überlebt. Und er war schon drei Tage nach Beginn seiner einsamen Wanderung auf zwei Mulcalin gestoßen, die von einer Wallfahrt zu einer Stadt der Nichtmenschen tief im Westen zurückkehrten. Sie hatten ihn aufgenommen, obwohl er keinen Namensstein trug und auch nicht mehr das Mal eines Jugendlichen.
    Sie hatten ihm geholfen.
    Das Land begann sich zu verändern.
    Schnee ging nieder und bedeckte alles mit einer Schicht aus heller Sauberkeit: die Grate und Schrunde, die granitenen Wände und die noch blühenden Moose. Er kam viel zu früh.
    Tairit wußte, warum.
    Er hatte eine Botschaft zu bringen. Und er wollte um Hilfe bitten. Hilfe, seinen Namensstein zurückzuholen, der einen Teil seines Ichs beinhaltete. Hilfe im Kampf gegen die Stadtfremden. Die Zeit war gekommen.
    Es ging immer tiefer ins Mulcalin-Land hinein. Nachts schliefen sie in der Wärme von Granitopal-Flammen. Sie drängten sich aneinander, und sie streichelten sich. Tairit konnte die Unruhe in seinen beiden Rettern jedoch spüren. Sie wußten, was mit ihm geschehen mußte. Der Langsame Tod.
    Am sechsten Tag ihrer gemeinsamen Reise erweiterten sich die Tiefentäler, und der von Norden wehende Wind trug den Klang von Barden mit sich. Bald schon kamen ihnen andere Mulcalin entgegen. Sie stellten Fragen und erhielten Antwort. Sie kehrten zurück mit der Kunde, die Tairit brachte. Ein Heiligtum war geschändet, viele Mulcalin getötet worden. Eine Verletzung des Vertrages. Wie schon viele Verletzungen zuvor. Zornige Rufe wurden laut. Mitleidsbekundungen für Tairit.
    Tairit blickte empor, als der Leguan über den Felsgrat dem Dorf entgegenkroch. Die Kristallstaubseen hatten sich erweitert. Sie wuchsen noch immer, wurden weiter, größer und mächtiger. Mualt war ein großer Fleck, blaß und trüb. Eine blitzlichtartige Vision: ein in Flammen stehender Himmel, Kälte und Eis jedoch am Boden der Welt. Die Körperlosen Geister. Die erwachenden Titanen. Die Zeichen waren eindeutig.
    Tirashdran.
    Das Dorf der Schwarzen Träne. Erstes Heiligtum aller Mulcalin. Zentralpunkt ihres Landes, Herz alles Seins.
    Die Höhlen in der aufragenden Felswand waren wie dunkle Augen, die über das Land schauten. Wärme wehte aus ihnen herab, der Glanz unzähliger Ewiger Feuer.
    Grazile Frauen nahmen ihn in Empfang. Er wurde gewaschen und sein Körper mit wohlriechenden Essenzen behandelt. Er aß und trank. Er regenerierte die Kräfte, die ihn dennoch bald verlassen würden, wenn er seinen Namensstein nicht wiederfand. Es war Heimkehr und Abschied zugleich. Tairit war nicht mehr der Knabe, der mit der Wallfahrt-Karawane ausgezogen war. Doch er war auch kein Erwachsener im eigentlichen Sinn. Es war, als hätte er dieses Stadium einfach übersprungen, als sei er ein Greis, der bald hinausziehen würde in die Ödnis, um den Kalten Tod zu suchen. Er fühlte sich müde und erschöpft. Er schlief, doch auch nach dem Schlaf fühlte er sich nicht viel besser.
    Geht es so schnell? dachte er. Leide ich bereits jetzt an tödlichem Ichverlust?
    Nachdem er geschlafen hatte, geleitete ihn ein Pretendiener tiefer in das weite Höhlensystem hinein. Granitopale bildeten an den Kreuzungen von Gängen und in den weiten Kavernen Heilige Muster, den Hieroglyphen der Namenssteine nachempfunden, von

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