Die Terranauten TB 15 - Im 176. Jahr
zuckten Blitze, ohne daß Donner folgte. Feurige Spuren wie von unzähligen Sternschnuppen. Kaum war eine verblaßt, entstand schon wieder eine neue. Körperlose Stimmen wanderten über das Land.
Die Lange Nacht.
Feuerregen, der doch Kälte brachte.
Tairit zitterte am ganzen Leib, so intensiv war die Vision diesmal. Er öffnete die Lippen, und er sprach, ohne es zu wollen. Langsame Laute, die sich zu Worten aneinanderreihten.
Sein Blick hing an der Schwarzen Träne. Seine Augen aber sahen etwas anderes.
Der Feuerregen beeinträchtigte die Immerwährenden Winde und die Stabilität der Kristallstaubseen. Gezeiten wie aus feinem Silber ergossen sich über ganz Haydrath, Kälte überzog das Land mit seinem eisigen Atem.
Dort, wo der Kristallstaub niederging, wurden die Kalten Teufel geboren. Sie wuchsen an den Felswänden und Graten, in den eisverkrusteten Schrunden und über den verwelkten Blühmoosen. Sie trotzten den heulenden Frostwinden der Tagnacht. Sie brachten … Veränderung.
»Es ist bereits einmal geschehen«, sprach Tairit. Sein Gesicht war so weiß wie der Schnee, der draußen in den Tiefentälern niederging. »Es wird wieder geschehen. Damals sind wir zu dem geworden, was wir sind. Es wird eine Zeit der Gefahren und Entbehrungen. Die Zeichen sind eindeutig. Die Sterne glänzen nicht mehr. Mualt verblaßt. Die Kälte überzieht das Land. Bald schon werden die Körperlosen Stimmen ihre lange Wanderung beginnen. Und mit ihnen werden die Kalten Teufel geboren. Wir müssen uns vorbereiten auf diese Zeit des Dunkels. Wir …«
Tairit schwankte. Der Prete an seiner Seite stützte ihn. Die Augenlider zitterten, und die Schwarze Träne materialisierte sich wieder.
Tairit schauderte.
»Kannst du dich an alles erinnern?« fragte der Prete leise.
»Ja. An alles. Ganz deutlich. Prete, ich …« Seine Stimme versagte. Die Vision war diesmal nicht nur intensiv, sondern wirklich gesehen. Es war die Zukunft gewesen, und sie wurzelte in der Gegenwart. »Es ist eine Zeit der Gefahr. Wir alle sind bedroht.«
Der Prete lächelte. In den Wandnischen spielten noch immer die Barden. Es waren Künstler. Die Klänge ihrer Instrumente bildeten eine Einheit mit dem Kniestern der Ewigen Flammen.
»Du hast recht«, sagte der Prete. »Und doch auch wieder nicht. Es ist eine Zeit der Gefahr, ja, und auch wir sind bedroht. Doch wir haben die Namenssteine. Wir haben die Schwarze Träne. Wir haben das Wissen um die, die sind.«
Tairit begann zu begreifen.
»Du meinst …?«
Der Prete nickte. »Die Kalte Zeit kommt wieder. Damals hat sie uns zu Mulcalin gemacht. Sie hat uns Wissen und Erkenntnis gebracht, auch wenn viele gestorben sind. Diesmal«, er lächelte, »sind wir vorbereitet.« Er deutete auf das tintenschwarze Juwel. »Sie wird uns schützen. Ihre Kraft ist noch wesentlich stärker, als du ahnst. Wir alle werden aufbrechen zu den Städten der Nichtmenschen. Wir werden die Kraft der Schwarzen Träne mit denen der anderen Steine vereinen. Dann können uns die Kalten Teufel nichts anhaben. Und auch die Körperlosen Stimmen nicht. Die Menschen in den Städten aber …«
»Sie werden sterben. Sie sind nicht vorbereitet. Sie wissen so wenig.«
»Ist also eine Rache noch notwendig?«
Tairit zögerte. Zorn und Wut wohnten noch immer in ihm, eingekapselt, darauf wartend, freigesetzt zu werden und Kraft und Entschlossenheit zu bringen.
»Mein Namensstein …«, setzte er unsicher an.
Der Prete lachte. Es war ein herzliches Lachen ohne Falschheit, durchdrungen von Hoffnung und Zuversicht.
»Du hast offenbar noch nicht alles verstanden, Tairit. Deine Visionen waren mehr als Visionen: Ausblicke auf das Morgen. Normalerweise ist nur ein Prete dazu in der Lage.«
»Willst du damit sagen …?«
Zustimmendes Nicken. »Ja. Ich bin sicher, in dir wohnt die Gabe eines Preten. Es geht nicht nur darum. Warme Flammen wachsen zu lassen oder zu den Felsen der Welt zu sprechen. Es geht darum, die, die sind, zu verstehen und mit ihnen zu kommunizieren. Das ist es. Und du bist dazu in der Lage, auch wenn du diese Gabe noch nicht bewußt kontrollieren kannst. Und dein Namensstein …« Eine Geste in Richtung der Träne. »Dies ist der Heiligste Stein, den wir besitzen. Mit seiner Hilfe können wir die Kraft aller Namenssteine erhöhen. Mit ihm können auch Nicht-Preten begreifen. Seine Ausstrahlung ist größer als die aller anderen Steine zusammen, Tairit. Du hast einen Teil deines Ichs verloren. Vielleicht können wir ihn dir mit
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