Die Teufelsbibel
dir alles auf, was deine Schützlinge treiben.«
»Ich sende dir ein Geschenk, wenn ich wieder draußen bin und du noch hier.«
»No geh«, sagte Pankraz. Er schlurfte hinaus. »Schlechtes Geschäft für mich, Cyprian, weil, weißt, ich bin sicher eher draußen als du.«
»Ja, ja«, sagte Cyprian und winkte dem Wächter, als er die Tür hinter sich schloss. Er hörte ihn davonschlurfen, bis seine scharrenden Schritte verklangen. Stille fiel über die Zelle. Dann wurden die Schritte wieder lauter, kamen bis zur Tür, hielten davor an, der Schlüssel drehte sich, und Pankraz war zurück. Er hatte seinen Helm in der Hand und kratzte sich gleichzeitig am Kopf. Sein Mund stand offen. Cyprian starrte ihn an.
»Was ist los? Schlaganfall in der Nachbarzelle?«, fragte er.
Pankraz schüttelte den Kopf.
»Nein«, stotterte er. »Sollst mitkommen. Du bist soeben freigelass’n word’n.«
4
Das Haus in Prag war kaum anders als das in Wien: zwei Obergeschosse auf einem doppelt hohen Erdgeschoss, ruhend auf den Lager-, Keller- und Verkaufsräumen, gekrönt von einem Dachspeicher; dazwischen: dunkle, kleine Räume, die sich um ein breites, repräsentatives Treppenhaus anordneten und die weniger gemütlich als vielmehr vollgestopft waren mit wertvollen Tischen, Schränken, Kaminverzierungen und unablässig tickenden, tanzenden, sich drehenden, schwingenden, pendelnden, gurgelnden, summenden Uhren, die sich mit den Singvögeln in den Käfigen verbissene Wettbewerbe in der Disziplin lieferten, den Hausbewohnern den letzten Nerv zu rauben. Wo die Schatten in den Räumen am dunkelsten waren, brannten Kerzen und rußten die Wände ein. Es gab sogar mehr Freiheit für Agnes hier als zu Hause: in der Kärntner Straße hatte sie in einem Raum zusammen mit ihrer Magd und zwei jungen Küchendirnen geschlafen und hatte das Zimmer außerdem mit der verwitweten Schwester ihres Vaters geteilt, sobald diese auf Besuch war.
Hier, im Haus beim Goldenen Brunnen, nur einen Steinwurf weit weg von der mächtigen Baustelle des Jesuitenklosters und in einem der ältesten Teile der ganzen Stadt, verfügte Agnes über einen Raum im obersten Geschoss nur für sich und ihre Magd. Der Rest des Gesindes lebte im Dachgeschoss oder im Keller, und das Bett, das in Agnes’ Stube stand, war so breit, dass man sich bei einiger Mühe vorstellen konnte, ganz allein darin zu liegen – und wenn man die Angewohnheit der Magd ignorierte, sich in der Nacht herumzudrehen und Agnes dicht an sich heranzuziehen, weil sie im Schlaf vergessen hatte, dass ihr Schützling kein kleines Kind mehr war, das Geborgenheit suchte.
Und dennoch war das ganze Haus für sie ein Gefängnis. Wenn sie zum Fenster hinausstarrte und den Brunnen betrachtete, über dem man einen schmiedeeisernen Käfig errichtet hatte, war ihr zumute, als wäre die Gitterkonstruktion in Wahrheit über ihrem Leben errichtet worden.
Agnes sah blicklos in die Düsternis. Der späte Februar war keine lichte Zeit, schon gar nicht in Prag. Sie lauschte auf die regelmäßigen Atemzüge der ältlichen Frau neben sich und auf das ununterscheidbare Stimmengewirr, das aus der großen Stube im ersten Geschoss zu ihr nach oben driftete. Sie war einmal mehr aus diesem großen Raum geflohen, in dem sich zu den zwei Hauptmahlzeiten des Tages alle Komödianten der Tragödie trafen, die hier aufgeführt wurde; Titel: Agnes Wiegants Weg In Die Dunkelheit. Ein Trauerspiel In Drei Akten .
Die Dunkelheit war ihre Zukunft, der Weg dorthin führte über die Hochzeit mit Sebastian Wilfing, und sie war auf diesem Weg schon ein gehöriges Stück vorangekommen. Genau genommen befand sie sich am Ende des zweiten Akts. Der Verrat des Geliebten hatte schon stattgefunden, die Entführung der Heldin ebenfalls. Was blieb, war der Pomp der Hochzeitsfeierlichkeiten, die nach Ostern stattfinden würden, und als Antiklimax das langsame Verlöschen der Heldin in der verhassten Ehe mit einem ungeliebten Gatten, während ihre Gedanken um den Mann kreisten, den sie geliebt und der sie ihrem Untergang ausgeliefert hatte.
Die Mahlzeiten waren kaum erträglich für sie. Sie saß schweigend inmitten des Geplappers von Menschen, die wussten, dass eine unter ihnen Finsternis in ihrer Seele spürte, und die sich dennoch nach Kräften bemühten, so zu tun, als würden sie es gar nicht bemerken. Was war heute das Thema gewesen? Der Frühling wollte dieses Jahr gar nicht kommen. – In Wien würde man schon die ersten Schneeglöckchen sehen. – Es
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