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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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benutzte. Der Anrede »Baas« hatte er sich schon längst ergeben; er mutmaßte, es bedeutete so viel wie Meister und hätte sich auch nicht gewundert, wenn es »Vollidiot« geheißen hätte. Letzteres war die Anrede, die Cyprian im Zwiegespräch mit sich selbst verwendete.
    »Soll’n wir ihn bergen, Baas?«, fragte der Kutscher. Er wartete einen Augenblick und fügte dann hinzu: »Abschleppen, mein’ ich.«
    Cyprian kletterte aus dem Wagen und kniff die Augen zusammen. Die Straße verlief fast gerade und hob und senkte sich mit dem Landschaftsprofil. Hinter dem Abbruch der letzten Bodenwelle ragten die kahlen Äste einer Baumreihe hervor. Cyprian wusste mittlerweile, dass diese einen Flusslauf oder wenigstens einen Bach andeuteten und dass ihnen demnächst entweder eine wacklige Überfahrt über unzulänglich begradigte Holzstämme oder die Suche nach einem Fährmann bevorstand, der keine wirkliche Lust hatte, sich wegen eines vereinzelten Reisewagens im eiskalten Flusswasser nass zu machen. Bislang hatten sie drei Begegnungen mit Fährleuten gehabt. Beim ersten hatten sie höflich vor seiner Hütte gewartet, bis ein Ächzen und Stöhnen und rhythmisches Stoßen verklungen war und der Mann nach draußen stolperte, sich im Gehen die Hosen zubindend; mit dem zweiten hatten sie erbittert um den Preis gefeilscht, bis Cyprians Wagenlenker ihm die Unterarmprothese über den Schädel gezogen hatte; der dritte war so betrunken gewesen, dass Cyprian sich auf die Seemannskenntnisse seines Kutschers verlassen und gehofft hatte, sie würden sich auch auf den Betrieb eines an Seilen hängenden Bretts auf einem halb zugefrorenen Fluss anwenden lassen. Vor dem unscharfen Hintergrund der Äste konnte Cyprian einen kleinen Wagen ausmachen, der quer über der Straße stand.
    »Das sieht aus wie eine Blockade von Wegelagerern«, sagte Cyprian.
    »Was, mit so ’nem kleinen Schlickrutscher? Nä, Baas, keine Sorge. Den stoßen wir in’ Schiet mit unserm Kahn, wenn wir’s drauf anlegen, ohne dass uns auch nur ’n Steert wackelt.«
    »Schön«, sagte Cyprian. »Ich habe zwar kein Wort verstanden, aber ich entnehme deinen Worten, dass ich beruhigt sein darf.«
    »Außerdem hab ich den Wagen schon gesehen. Der hat uns heute Morgen bei der Kreuzung hinter Tschaslau überholt.«  
    »Hab ich nicht bemerkt.«
    »Macht nix, Baas.«
    »Vor oder nach der Kreuzung?«
    Der Wagenlenker starrte verständnislos von seinem Sitz herab.
    »Hat er uns vor oder nach der Kreuzung überholt?«
    »In Lee, Baas.« Pause. »Nachher, mein’ ich.«
    Cyprian nickte. »Dann schauen wir mal, was es mit den Leuten auf sich hat. Leinen los!«
    Der Wagenlenker strahlte überrascht. »Ahoi, Baas!«
    Die Leute entpuppten sich als junges Paar, das, wären sie nicht allein mit ihrem Wagenlenker unterwegs gewesen, Cyprian für frisch Vermählte auf der Reise zu einem neuen Wohnort gehalten hätte. Sie gingen vorsichtig und mit der Zärtlichkeit von Menschen miteinander um, die sich erst noch genauer kennen lernen müssen, aber das Gefühl haben, dass der jeweils andere ein Seelenverwandter ist. Die junge Frau wirkte zurückhaltender als der junge Mann, als habe sie sich noch einen Rest Misstrauen bewahrt; er hingegen, das war für einen scharfen Beobachter deutlich zu sehen, war ihr bereits völlig verfallen. Cyprian hätte in sich hineingegrinst, hätten sie ihm nicht deutlich vor Augen geführt, was er mit Agnes nicht hatteund wahrscheinlich niemals haben würde. Sie war mittelgroß und zierlich, soweit man das trotz der Rüstung sagen konnte, aus der ihr Kleid nach der spanischen Mode bestand; sie wirkte wie ein Mädchen, aber Cyprian konnte in ihren Augen lesen, dass sie wenn schon nicht die erforderlichen Jahre, so doch den nötigen Widerstand in ihrem Leben erfahren hatte, um die Bezeichnung Frau zu verdienen. Der junge Mann mochte in Cyprians Alter sein, ein dünner Kerl, dessen Bewegungen graziös, aber an der Schwelle zum Komischen waren – wenn er noch ein paar Pfund verlor, würde er wie ein Storch wirken. Sein Gesicht war hübsch und kam Cyprian nach längerem Betrachten bekannt vor. Diese Ahnung verwirrte ihn; er war noch nie in Prag gewesen, der junge Mann hatte von Wien zwar gehört, hatte die Stadt jedoch noch nie besucht. Was immer es war, das Cyprian wiederzuerkennen glaubte, es war nicht unangenehm.
    Die beiden Wagenlenker verstanden sich auf Anhieb, zwei Fachmänner, die unter dem schräg stehenden Wagen lagen und darüber diskutierten, ob die

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