Die Teufelsbibel
der Dominikaner angespielt hatte.
»Gehen Sie zum Teufel, Hochwürden.«
»Gott sei mit dir, mein Sohn.«
6
Es war schwer genug, wenn die geografische Lage des nächsten Ziels als ›irgendwo östlich von Prag‹ beschrieben wurde.
»Nordöstlich, südöstlich oder einfach nur östlich?«
»Keine Ahnung.«
»Wie weit entfernt von Prag?«
»Mindestens zwei Tagesreisen.«
»Es können aber auch mehr sein?«
»Keine Ahnung.«
»Indien liegt auch östlich von Prag, mindestens zwei Tagesreisen davon entfernt.«
»Haha, Cyprian. Ich habe glatt vergessen, wie man lacht.«
»Ich auch, Onkel.«
Die Lage wurde nicht leichter, wenn man zudem gezwungen war, sich so vorsichtig und heimlich wie möglich näher zu erkundigen, sobald man in Prag angekommen war. Und vollends kompliziert war die Situation, wenn man den ganzen Tag nur daran dachte, dass man irgendeinen Fehler gemacht hatte und dass die Frau, die man liebte und derentwegen man sich auf das Ganze eingelassen hatte, plötzlich mit Wut, Schmerz und Hass auf diese Liebe reagierte.
Onkel Melchior war nicht untätig gewesen in jenen Wochen in Rom, in denen Giovanni Facchinetti die ersten Schritte in seinem neuen Amt unternommen hatte und während derer der Bischof sein enger Vertrauter gewesen war. Doch alles, was seine Recherchen ergeben hatten, waren vage Hinweise gewesen – halb verwischte Spuren, die zu alten benediktinischen Klöstern führten, zu vormaligen kirchlichen Zentren, über die die Zerstörungswut der Hussitenkriege gekommen war. Die deutlichste Spur wies nach Brevnov bei Prag, doch Brevnov war zu unbedeutend und durchsichtig, als dass es das Versteck der Teufelsbibel hätte sein können. Brevnov war nur ein kleines Kloster, eine späte Gründung, deren Wurzeln viel weiter östlich lagen, an einem Ort, der bei jedem, den man fragte, Schulterzucken hervorrief. Podlaschitz –
Cyprian saß im Wagen, auf dem das Wappen des Bischofs von Wiener Neustadt prangte, schaukelte in einen düsteren Februartag hinein und starrte blicklos auf das sanft gewellte Land, grauscheckig unter dem Reif, der Schnee durchsetzt mit dem Flickwerk aus Wäldern und Dörfern, schmutzig braun und trist, eine Reise in die Trübnis.
Drei Tage – er wusste, dass seine Reisegeschwindigkeit am untersten Ende der Möglichkeiten lag, und wer sich darüber Gedanken machen wollte, konnte entweder zum Schluss kommen, dass Cyprian den Wagenlenker auf seinem Bock neben der Februarkälte nicht auch noch schneidendem Fahrtwind aussetzen wollte und ihn deshalb in seiner langsamen Fahrt gewähren ließ – oder dass etwas hinter ihm in Prag lag, das ihn mit einer unüberhörbaren Stimme zurückhielt.
Drei Tage – rechnete man die zwei Tage hinzu, die er vor der Abreise gebraucht hatte, um herauszufinden, dass sein Ziel in der Nähe der Stadt Chrudim liegen musste, waren es fünf, in denen sein Körper die richtigen Bewegungen gemacht und sein Mund die richtigen Fragen gestellt hatte, während sein Geist sich anderweitig beschäftigte, nämlich mit Agnes Wiegant und der Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, im Gefängnis zu bleiben und wenigstens an der Hoffnung festhalten zu können.
Der Wagen hielt mit einem sanften Ruck an. Cyprian lehnte sich nach draußen.
»Sichte Fahrzeug voraus«, meldete der Lenker. »Scheint ’ne Panne zu haben, Baas.«
» Was hat er?«
»Sitzt fest. Beschädigt. Kaputt«, übersetzte der Kutscher, »auf Grund gelaufen, sagt man auf See, Baas.«
Onkel Melchior hatte Cyprian Anweisungen gegeben, wo in Prag er sich sein Personal aussuchen sollte. Letzten Endes hatte Cyprian nur jemanden gebraucht, der sich in der Gegend auskannte, Cyprians Sprache beherrschte und den Wagenlenker ersetzen konnte, der Cyprian nach Prag gebracht hatte. Er hatte seinen Mann unter den Moldaufischern gefunden, ein Kerl wie ein verwitterter alter Wurzelstock, mit nur einem Bein, der seinen eigenen Angaben nach zur See gefahren war und sein anderes Bein dort gelassen hatte, woraufhin er in seine Heimat zurückgekehrt und dem Element Wasser, diesmal in Form der Flüsse Moldau, Beraun und Elbe, auf denen er Waren transportierte, einen Unterarm geopfert hatte. Die fehlenden Gliedmaßen hatte er durch Holzstümpfe ersetzt und zumindest in Cyprians Gegenwart noch keine Sekunde lang erkennen lassen, dass er sich in irgendeiner Weisebehindert fühlte. Benachteiligt fühlte sich eher Cyprian, der nur die Hälfte der Ausdrücke verstand, die der alte Seebär gewohnheitsmäßig
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