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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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stieg er ein.
    Chrudim lag auf einem Buckel, der sich unvermittelt aus der Landschaft schob, und krönte diesen mit zwei ungleichen Zwillingskirchtürmen und einer Stadtmauer mit vierschrötigen Wachtürmen, über denen sich ein massiger Torbau erhob und nach Westen schaute. Kurz zuvor hatte sich ein Streifen Himmel geöffnet, und die Abendsonne schien auf die Westfassaden der Gebäude: grauer und brauner Stein, plötzlich golden gefärbt vor dem dunklen Osthimmel. Jetzt war die Wolkendecke wieder geschlossen und ließ die Häuser und Wehranlagen aussehen, als habe sie jemand aus dem Acker gebrochen und im schmutzigen Schnee vergessen. Der Wagen hielt erneut an.
    »Sichte Wachgänger voraus, Baas!«, rief Cyprians Wagenlenker. »Ich meine –«
    »Ich kann’s mir denken«, brummte Cyprian. Er wechselte einen Blick mit Andrej und schwang sich aus dem Wagen. Als Andrej ihm folgte, trat er ein Stück beiseite. Auf der Straße, noch weit vor den ersten Pfahlbürgerhütten außerhalb der Stadtmauern Chrudims, hatten sich vier Männern postiert. Die Männer trugen Spieße und Armbrüste und hatten einen entasteten Baum über die Straße gelegt.
    »Was soll das bedeuten?«, fragte Cyprian.
    Andrej zuckte mit den Schultern. Er sah besorgt aus.
    »Muss ich noch irgendetwas über Sie beide wissen, damit ich mich nicht verplappere?«, fragte Cyprian. Er begegnete dem überraschten Blick Andrejs, ohne eine Miene zu verziehen. Andrej schüttelte den Kopf.
    »Folgen wir der Strömung«, sagte Cyprian zu seinem Wagenlenker.
    »Hä?«
    »Weiterfahren.«
    »Ach so. Alles klar, Baas.«
    Beim Posten war die Weiterfahrt endgültig zu Ende. Cyprian, der zusammen mit Andrej neben dem Wagen hergegangen war, hatte gehofft, der Anblick des Wappens und das selbstbewusste Weiterfahren würden die Soldaten dazu bewegen, das Hindernis beiseitezuräumen. Näher gekommen, sah er, dass ihre Haltung weniger wütend als vielmehr ängstlich wirkte. Ein paar Griffe an Spießen wurden gewechselt, Armbrüste hoben sich kaum merklich und zielten zwar immer noch auf den Boden, aber auf den Boden zwischen Cyprians und Andrejs Beinen.
    Andrej versuchte unaufgefordert sein Glück und erhielt auf seine Frage eine einsilbige Antwort. »Alle sollen aussteigen«, übersetzte er. Er wirkte so nervös, dass Verdacht zu schöpfen selbst dem dümmsten Wachposten leichtgefallen wäre. Cyprian verfluchte ihn im Stillen.
    »Sie stehen unter dem Schutz des Bischofs von Wiener Neustadt«, sagte er aus dem Mundwinkel. »Beruhigen Sie sich.«
    »Glauben Sie, die hier wissen, wo Wiener Neustadt liegt?«
    Andrej half seiner Gefährtin heraus. Die Wagenlenker kletterten zögernd von ihrem Bock, der alte Seebär, indem er dabei demonstrativ seine Prothesen zeigte. Die Wachposten sahen sich gegenseitig an, als alle in einer Reihe aufgestellt waren. Cyprian erkannte, dass sie noch nervöser waren als Andrej. Sein Herz, das seit dem Anblick des Postens schneller geschlagen hatte, pochte nun schmerzhaft. Dann trat einer der Männer vor – und etwas wie Eiswasser rann Cyprians Rücken hinab, als der Wächter sich einen Tuchfetzen vor Mund und Nase schob. Man konnte sehen, wo der Atem des Wachtpostens das Tuch bewegte. Seine Augen waren starr vor Angst.
    »Verdammt«, sagte Cyprian heiser.
    »O mein Gott, die haben hier die –«, begann Andrej.
    »Haben sie nicht«, sagte Cyprian. »Seien Sie still.«
    Der Wachtposten näherte sich ihnen so vorsichtig, wie man an eine Schlange herantritt. Er musterte sie mit weit aufgerissenen Augen, einen nach dem anderen, und trat dabei so nahe an sie heran, dass Cyprian seinen Angstschweiß riechen konnte. Sein Blick heftete sich auf die Holzprothesen von Cyprians Wagenlenker. Er zog einen Dolch heraus und richtete ihn auf den alten Mann. Die Dolchspitze zitterte.
    Cyprian hörte ein Wimmern. Es kam von Jarmila. Er sah, wie Andrej nach ihrer Hand griff und sie festhielt. Einer der anderen Wachposten reagierte, indem er seine Armbrust auf Andrej richtete. Aus dem Augenwinkel erkannte Cyprian, dass Andrej verzerrt lächelte und dem Wachposten zunickte. Dieser ließ die Waffe langsam wieder sinken.
    Die Dolchspitze näherte sich der Stelle am verstümmelten Arm des Alten, an der sein ausgefranster Ärmel den Beginn der Holzprothese bedeckte. Sie schob den Ärmel langsam hinauf. Das Tuch vor dem Mund des Wachpostens bewegte sich heftig; Cyprian konnte seinen Atem pfeifen hören. Der alte Mann fasste ruhig mit der gesunden Hand hinüber und

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