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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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krempelte den Ärmel zurück. Über seinen Oberarm zog sich ein Geflecht aus Lederbändern, das die Prothese festhielt. Die Dolchspitze zitterte heftig. Der alte Mann löste die Prothese mit ein paar Handgriffen und zeigte den Armstumpf. Die Dolchspitze schwebte bebend über den zusammengenähten Hautlappen und den roten Abdrücken, wo sich die Manschette der Prothese in das Fleisch gedrückt hatte, dann zuckte sie zurück. Die Blicke des Wachpostens fielen auf die Beinprothese. Der alte Mann verdrehte die Augen. Der Wachposten blickte Hilfe suchend zu seinen Kameraden hinüber.
    »Fragen Sie ihn, wo sie ihn haben«, sagte Cyprian zu Andrej.
    »Wo sie ihn – haben ? Wen?«
    »Den Aussatz«, murmelte Cyprian.
    »Sie meinen – o mein Gott –«
    »Fragen Sie schon.« Der alte Wagenlenker machte Anstalten, sich ächzend hinzusetzen. »Bevor wir hier noch alle auseinandergenommen werden.«
    Andrej räusperte sich und rollte etwas in der Sprache, die Cyprian seit seiner Ankunft hier ein Buch mit sieben Siegeln war. Der Scharführer der Wache antwortete nach einigem Zögern.
    »Südosten«, sagte Andrej mit schwacher Stimme.
    »Fragen Sie ihn, ob er weiß, wo diese Straße herkommt.«
    Der Scharführer musterte Cyprian. Selbst über die zwanzig Schritte Entfernung konnte Cyprian erkennen, wie sich in seinem Gesicht der Wunsch widerspiegelte, alles richtig zu machen, und die Angst, bei einem Fehler seine ganze Heimatstadt auf dem Gewissen zu haben.
    »Westen.«
    »Fragen Sie ihn, ob er den Eindruck hat, dass wir von Westen gekommen sind.«
    »Aber wir sind von Westen gekommen.«
    »Fragen Sie ihn.«
    Ein längerer Disput entspann sich. Offenbar hatte Andrej verstanden, worauf Cyprian hinauswollte. Der Wachposten mit dem Tuch vorm Gesicht nutzte die Gelegenheit und trat ein paar Schritte zurück; der alte Seebär begann damit, seelenruhig seine Prothese wieder anzuschnallen. Der Scharführer biss die Zähne zusammen und maß Cyprian erneut. Cyprian schenkte ihm ein Grinsen. »Das ist das Wappen des Bischofs von Wiener Neustadt«, sagte er und deutete auf seinen Wagen. »Wir sind heute Morgen in Tschaslau aufgebrochen. Wir kommen geradewegs aus Westen. Was immer im Südosten eurer Stadt vorgeht, wir sind nicht dort gewesen. Von uns geht keine Gefahr aus.«
    »Irgendwie«, sagte Andrej, »fühle ich plötzlich gar kein so großes Bedürfnis mehr, nach Chrudim zu kommen.«
    »Wenn sie den Aussatz schon in der Stadt hätten, würden sie keine solchen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Ich bin überzeugt, die Stadt ist sicher.«
    »Ich habe Angst um Jarka«, sagte Andrej schlicht.
    »Kann ich verstehen«, sagte Cyprian. Die beiden Männer sahen sich an. Andrej senkte den Blick.
    Der Scharführer schien zu einem Entschluss gekommen zu sein. Zwei seiner Männer wuchteten den Baumstamm so weit beiseite, dass der Wagen passieren konnte. Cyprian nickte ihm zu. Der Scharführer nickte zurück, das Gesicht noch immer von Zweifeln verzerrt. Cyprian beneidete ihn nicht; gute Wächter zweifeln immer, und der Scharführer war ein sehr guter Wächter.
    Jarmila war bleich, als sie im Wageninneren Platz nahm. Sie flüsterte Andrej etwas zu. Andrej seufzte. Jarmila schüttelte den Kopf und redete auf ihn ein. Cyprian beobachtete sie, bis Andrej sich zurücklehnte und ein unglückliches Gesicht machte. Der Wagen fuhr mit dem üblichen leichten Ruck an.
    »Was wollen Sie eigentlich in Chrudim?«, fragte Cyprian.
    Die beiden wechselten einen Blick. »Jarka sucht nach Spuren ihrer Mutter«, sagte Andrej schließlich. Cyprian hatte den Eindruck, dass das nur die Hälfte der Wahrheit war. »Sie ist verschollen, als Jarka ein Kleinkind war – niemand weiß genau, wo.«
    »Und Sie wollten ihr ausreden, die Reise fortzusetzen, aber wie die Frauen so sind, hat sie darauf bestanden, weiterzumachen.«
    Andrej starrte ihn an.
    »Na ja«, sagte Cyprian. »Irgendwo müssen Sie ja übernachten, wenn Sie nicht in Ihrem defekten Wagen bleiben wollen.« Er lehnte sich aus dem Fenster und musterte die Wachen, die am Straßenrand standen und dabei zusahen, wie der Lenker vorsichtig den Baumstamm umkurvte, als manövriereer ein zerbrechliches Schiff um eine Klippe herum, und vermutlich fühlte er sich auch so.
    »Andrej – könnten Sie den Wachführer fragen, welche Orte im Südosten von der Lepra betroffen sind?«
    Der Scharführer gab brummig Auskunft.
    »Es ist nur ein kleines Gebiet, und sie haben es weiträumig abgeriegelt«, sagte Andrej. »Er sagt, wir

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