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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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hinausführte; ihre Mutter kämpfte den Krieg der Kochlöffel und Schöpfkellen; Agnes’ Kinderfrau schlummerte weiterhin ahnungslos der Standpauke ihres Lebens und der Kündigung zur nächsten Lichtmess entgegen. Die Menschenmenge begann nutzlose Ratschläge zu diskutieren, die vorerst darin gipfelten, dass man auf das Abklingen des Frostes warten und das Kind solange mit Suppe ernähren müsse, bis die Zunge freiwillig vom Abflussrohr lostaute.
    Schließlich wand sich die Gestalt eines Jungen durch die Menge. Das Geschnatter verstummte. Agnes, in deren Zunge ein frostiges Fegefeuer brannte und auf deren Wangen die Tränen anfroren, riss sich zusammen und schielte zu dem Neuankömmling, der sich neben ihr aufbaute und sie musterte. Agnes’ Blicke wanderten über einen zehnjährigen Jungen, der sich mit aller Sorgfalt so gekleidet hatte, dass er auch einen Schneesturm draußen überstanden hätte. Dann blieben Agnes’ Augen an dem Wasserkrug hängen, den der Junge in den Händen hielt. Aus dem Wasserkrug dampfte es. Die Blicke der Kinder begegneten sich. Der fremde Junge nickte und lächelte.
    Dann löste er mit ein paar gezielten Güssen des auf Körperwärme aufgeheizten Wassers die angefrorene Zunge vom Abflussrohr.
    Die Zuschauer klatschten und erklärten den Retter zumHelden und dass sie außerdem daran auch schon gedacht hätten. Agnes hielt sich unwillkürlich am Abflussrohr fest, zuckte zurück, als die Kälte in ihre ungeschützten Hände brannte, und sammelte genügend Stärke, um »Banbe!« zu sagen, ohne sofort losheulen zu müssen.
    »Bitte sehr«, sagte Agnes’ Lebensretter.
    Agnes schluckte. Während die Menge langsam auseinanderging, lachend und kopfschüttelnd (»Wie kann man so dämlich sein, im Winter ein Abflussrohr abzuschlecken?« »Ja, aber haben Sie gesehen, wie der Sohn des Bäckermeisters reagiert hat? Das Kerlchen bringt es noch mal zu was, das sag ich Ihnen!« »Das war der Sohn des Bäckermeisters, der …?« »Schhh!«), musterten sich die beiden Kinder erneut.
    »Ib bib Abneb Biebanb«, lallte Agnes und verdrängte die Tränen, die aufs Neue in ihre Augen schossen. Die Zunge war ein roher Lappen in ihrem Mund.
    »Weiß ich schon. Ich bin Cyprian.« Der Junge deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Mein Vater ist der Bäckermeister Khlesl.«
    »Ihr beib Bobebandten!«, sagte Agnes.
    »Nö. Wir waren Protestanten. Jetzt sind wir katholisch, seit mein Onkel Melchior uns alle bekehrt hat.«
    »Bie?«
    Cyprian zuckte mit den Schultern. »Naja, zuerst waren wir alle protestantisch, aber dann freundete sich mein Onkel mit einem katholischen Prediger an, und danach redete er so lange auf meine Großeltern und meinen Vater ein, bis wir am Ende alle katholisch waren. Ist doch egal.«
    Agnes versuchte die Information an den Mann zu bringen, dass man in ihrem Elternhaus mangels dieser Neuigkeit über den Bäckermeister von schräg gegenüber immer noch höchst misstrauisch als von einem Protestanten sprach und dass die Mitglieder des Wiegant’schen Haushaltes keineswegs ermutigt wurden, den Kontakt über die Gasse hinweg zu suchen.
    »Bis letztes Jahr waren wir ja auch noch Protestanten«, erklärte Cyprian. »Du kannst deinem Vater sagen, dass wir jetzt rechtgläubig sind. Was immer das heißt.« Cyprian lächelte unbekümmert. »Es heißt wahrscheinlich, dass du eine Semmel, die ich dir schenke, auch essen darfst.«
    »Beib«, sagte Agnes und machte ein ernstes Gesicht. »Eb heibt, babb bir betzt Bfeunde bind!«

1590:
Tod eines Pontifex
    »Wir sehen durch einen Spiegel ein dunkles Bild.«
    1. Kor. 13,12

1
    Das Bild in der blank polierten Metallfläche war verzerrt. Die Wangenknochen traten in ihm stärker hervor als sonst, die Nase wirkte noch länger, die Stirnpartie war ein Feld aus tiefen Furchen, die Augen riesengroß und glänzend und der Bart eine schüttere graue Maske. Einst hatte er ihn als Knebelbart getragen, um seine Hingebung an Jesus Christus zu verdeutlichen, aber nun war er verfilzt und hing von seinem Kinn wie Flechten. Das Spiegelbild erschien wie das Abbild eines Toten.
    Die letzten zwölf Tage hatte er stöhnend und in Fieberkrämpfen im Bett verbracht; dann hatte er sich das Pergament aus dem Archiv bringen lassen, das er vor einem halben Menschenalter bereits in der Hand gehalten hatte, und hatte die Erinnerung bestätigt bekommen, derentwegen er nicht zuletzt darauf hingewirkt hatte, dieses Amt zu bekommen. Das Fieber war verschwunden; was es ihm an

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