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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Augen des Abts schwammen in Tränen. Pavel kniete nieder und legte sich die eiskalte Hand seines Klostervorstehers auf den Kopf. Er fühlte sie zittern und hörte das heftige Atmen, mit dem Abt Martin versuchte, seine Fassung wiederzuerlangen. Die Gedanken in Pavels Hirn liefen immer noch auf ihrer Kreisbahn, doch jetzt drehten sie sich einzig und allein um die Frage, was den alten Tomáš bewogen hatte, nach Braunau zu kommen. Dass es nicht nur daran lag, dass er den Tod fühlte und nicht ohne Absolution sterben wollte, war für Pavel so klar, als sei es mit Feuerbuchstaben auf die Innenseite seines Schädels graviert. Warum bist du gekommen, Bruder Tomáš? Warum?
    Als er den alten Mann auf dem Lager sah, das sie ihm in einer Ecke des Dormitoriums bereitet hatten, wusste Pavel, dass das Einzige, was diesen Körper noch am Leben hielt, der Wahnsinn war. Tomáš war mit zwei anderen Brüdern in Podlaschitz zurückgeblieben, als der alte Abt von Braunau, Johannes, gestorben und sein Amt an Prior Martin gegangen war. Es hatte jede Menge Diskussionen gegeben, als Martin erklärt hatte, er wolle die Teufelsbibel mit nach Braunau nehmen. Seit dem Massaker hatte er sie in Podlaschitz nicht mehr für sicher gehalten. Der damalige Obere der Kustoden hatte versucht, sich Martins Wunsch zu verweigern, doch der neue Abt hatte nicht nachgegeben. Sie hatten die schwere, kettengesicherte Truhe schließlich mit zwei Eseln transportiert. Der Weg war ein Alptraum gewesen. Sie hatten die beiden Esel mit Geschirren ausgerüstet, diese mit zwei langen Tragstangen verbunden und die Truhe an den Stangen befestigt, so dass die Esel hintereinandergingen, zwischen sich die Truhe. Der vordere Esel rannte fast, als versuche er verzweifelt, dem Ding hinter sich zu entkommen, während der hintere Esel die Hufe in den Boden stemmte und sich sein Fell sträubte, als er der Truhe vor sich folgen musste. Sie hatten den vorderen Esel gezügelt und zurückgerissen, bis seine Schultern da, wo das Geschirr auflag, wund gerieben waren; den hinteren Esel hatten sie gepeitscht, bis seine Flanken von Striemen überzogen waren. Pavel hatte die Panik in den Augen der Tiere erkannt und sichgekrümmt bei diesem Anblick, doch er hatte geschwiegen. Am Ende war es Buh gewesen, der nach einem längeren Monolog, in dem kein einziges vollständiges Wort vorkam und den kein Mensch wirklich verstand, die Lösung gefunden hatte. Er hatte sich in die Tragstangen gestellt, direkt hinter der Truhe und vor dem Kopf des hinteren Esels, hatte sich ihm zugewandt und ihn zu streicheln begonnen. Pavel hatte reagiert und es ihm vor der Truhe gleichgetan. Der gewaltige Körper Buhs blockierte die Sicht des hinteren Esels auf seine Last, und was immer es war, das der schmächtige Leib Pavels vermochte, auch der vordere Esel beruhigte sich, sobald Pavel als Puffer zwischen ihm und der Truhe stand. So waren sie weitergezogen. Buh war fast die ganze Strecke rückwärtsgegangen. Sie hatten keinerlei Pause eingelegt, auch nicht bei Nacht.
    Bei ihrer Ankunft in Braunau knappe zwei Tage später war es irgendwie klar geworden, dass Pavel und Buh die Hauptverantwortung dafür trugen, dass die Truhe an ihren Bestimmungsort gelangte. Sie machten in der Unterstadt direkt unterhalb des steilen Klosterfelsens Halt, schirrten die Esel, als diese sich lieber hätten totschlagen lassen als noch einen Schritt weiterzugehen, aus und schleppten die Truhe zu zweit den Trampelpfad hinauf, der durch den tiefen natürlichen Graben zwischen den Klostergärten und dem Hauptgebäude und unter der Holzbrücke zum Klostereingang hindurch zur Stadt hinaufführte. Abt Martin hatte sie vor der Pforte warten lassen, während er das Kloster betreten hatte. Als er wieder herausgekommen war, schien der unmittelbare Eingangsbereich leergefegt und ausgestorben. Sie hatten den Anweisungen Martins folgend die Truhe eine Treppenflucht hinuntergetragen und waren mit ihr in den alten Höhlengängen unterhalb des Klosters untergetaucht. Danach hatten sie nie wieder etwas von Podlaschitz oder den zurückgelassenen Brüdern gehört. Es war, als sei eine Epoche beendet worden. Mittlerweile war Pavel klar, dass die Epoche für Abt Martinniemals beendet gewesen war; in seinem Herzen hatte Podlaschitz weitergeschwärt, eine brandige Wunde, die in Fäulnis verfiel und nicht absterben wollte.
    Tomáš’ Augen waren offen und starrten an den um ihn versammelten Brüdern vorbei den Abt an.
    »Schick sie hinaus, ehrwürdiger Vater«,

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