Die Teufelsbibel
kroch über den unebenen, schlammfarbenen Boden mit seinem Mosaikmuster aus Rissen und präsentierte das welke Gemüse in der Ecke.
»Na also!«, sagte der Pfarrer, horchte und sagte nochmals: »Tut mir leid.«
Der Dominikaner stieg die Stufen hinunter und stampfte auf den Boden. Der Pfarrer hörte ihn seufzen.
»Wenn dort unten wirklich etwas liegt«, sagte der Pfarrer, weil ihm plötzlich der Gedanke gekommen war, dass man einen Verrückten loswerden konnte, indem man auf seine Verrücktheit einging, »dann ist es so sicher versiegelt wie im Geheimarchiv des Vatikans.«
Der Dominikaner zuckte zusammen. »Was?«, keuchte er. »Was hast du gesagt?«
Der Pfarrer schluckte und probierte es mit Schweigen und einem zutraulichen Lächeln. Der Dominikaner setzte sich auf die letzte Treppenstufe und stützte den Kopf in die Hand. Nach einer Weile hörte der Pfarrer ein gackerndes Geräusch. Der Mönch lachte. Er drehte sich um und spähtezum Pfarrer. Mit einem Mal nahm er die Brille ab, putzte sie mit einem Zipfel seiner Kukulle (nicht, dass der Pfarrer eine wesentliche Verbesserung ihres Zustands wahrgenommen hätte), setzte sie wieder auf und sagte: »Sie ist sicher. Es wird Jahre dauern, und bis dahin ist sie sicher.« Der Mann klang glücklich.
»Ich habe ja auch den Schlüssel«, sagte der Pfarrer ratlos und weil er hoffte, seinen Gast noch mehr von der Sicherheit von Was-auch-immer zu überzeugen.
Der Dominikaner schwieg. Ganz langsam rann das Lächeln aus seinem Gesicht, bis es wieder von den riesigen Augen und den blinden Brillengläsern beherrscht wurde. »Was hast du vorhin gesagt? Beim letzten Mal?«
»Ja«, sagte der Pfarrer und versuchte, unbeschwert zu klingen. »Das letzte Mal. Eine junge Frau wollte die Treppe hinuntersteigen. Sie fragte mich dieselben Dinge wie du.« Ein Verdacht schwamm unvermittelt in ihm hoch. »Kennst du sie?«
Der Dominikaner kam die Treppe herauf. Der Pfarrer hatte nicht wahrgenommen, wie er aufgestanden war. Er blickte in die Augen des abgerissenen Mannes und begann rückwärtszugehen. Der Dominikaner folgte ihm. Der Pfarrer stieß mit dem Hintern an den Altar und stoppte; sein Oberkörper bog sich so weit nach hinten, wie es ging, während der Dominikaner sich über ihn beugte. Ihre Nasenspitzen stießen zusammen. Der Pfarrer hörte sein Rückgrat knacken.
»Wer ist sie?«, flüsterte der Mönch.
Der Pfarrer war überzeugt, dass seine letzte Stunde bevorstand. Sein Hirn leerte sich, und seine Blase hätte es auch getan, wenn genügend Flüssigkeit darin gewesen wäre. »Du kennst sie also nicht?«, brachte er hervor.
16
Pavel streifte die graue Kukulle ab und faltete sie ordentlich zusammen; dann half er Buh, der sich wie immer darin verheddert hatte. Er atmete die kühle, dumpfe Luft des Klosterinneren ein – ein tiefer Atemzug wie der eines Mannes, der die letzten Stunden fast gar nicht geatmet hat. In Pavels – und Buhs – Fall traf dies genau zu.
Sie waren im Morgengrauen in die Stadt hinausgegangen, die grauen Kukullen über den schwarzen Kutten. Mit ihnen hatten sie auf den ersten Blick ausgesehen wie normale Mönche, wie zwei Klosterbrüder, die durch die Gassen streiften, um festzustellen, ob sie helfen konnten. Einen zweiten Blick verschwendete in diesen Zeiten niemand; auf den zweiten Blick hätte man eventuell feststellen können, dass der Mensch, dem man soeben begegnet war, die Krankheit hatte, und das hätte zum einen die bange Frage wachgerufen, ob man sich durch diese flüchtige Begegnung angesteckt hatte, zum anderen die Gewissheit erbracht, dass keiner gefeit war. Solange man nur Gesunde durch die Stadt huschen sah und es schaffte, um die Karren der Abdecker einen großen Bogen zu machen, solange in der eigenen unmittelbaren Familie noch niemand gestorben war und man alle aushäusigen Kontakte abgebrochen hatte, um nicht mit dem Leid in den anderen Häusern konfrontiert zu werden – solange konnte man sich der Illusion hingeben, dass man vielleicht verschont bleiben würde. Freilich wurden die Menschen, die diese Haltung einnahmen, täglich weniger.
»Sch… sch… sch…«, stammelte Buh und ließ es zu, dass Pavel sich auf Zehenspitzen stellte und ihm die Tonsur glatt strich.
»Ja«, sagte Pavel. »Schlimme Zeiten.«
Abt Martin hatte sich Pavels Bitten lange verweigert, aber Pavel hatte nicht lockergelassen. Seit kurzem verließen einmal pro Woche jeweils zwei Kustoden, mit grauen Kukullen notdürftig getarnt, für ein paar Stunden das
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