Die Teufelsbibel
hat von dem Tuch geträumt, in dem er als Säugling getragen worden ist. Er hat von der Frau geträumt, die ihn getragen hat. Er möchte sich dafür bedanken, dass sie sein Leben gerettet hat.«
»Die alte Katka hat ’nen Sohn?«
»Nein. Es ist eine viel kompliziertere Geschichte.«
Der Junge sah ihn an und hatte offensichtlich große Lust, die viel kompliziertere Geschichte erzählt zu bekommen.
»Wenn du der alten Katka das sagst, können wir sofort für deine kleine Schwester beten.«
»Ah ja!«, sagte der Junge und wirbelte herum.
»Moment. Weißt du noch, was du sagen sollst?«
Der Junge wiederholte Pavels Worte mit der Präzision eines Menschen, dessen Fantasie viel zu unterentwickelt ist, um an einem ihm vorgegebenen Text Änderungen vorzunehmen.
»Gut. Sag ihr, wir warten in dem alten Ziegenstall am Waldrand. Sie wird schon verstehen, warum dies eine Sache ist, die nicht alle Leute hören dürfen.«
»Warum?«
»Nun wollen wir für deine Schwester beten.«
»Richtig!« Der Junge wandte sich ab und lief zu den Gebäuden zurück. Pavel riss sich von seinem Anblick los.
»Los, schnell«, zischte er Buh zu. »Sie darf uns nicht sehen, bevor sie den Stall betreten hat. Sonst flüchtet sie sofort vor unseren Kutten.«
»W… wa… was is… gnnnh… was is… dran falsch?«, würgte Buh hervor.
»Nichts!« Pavel winkte ab und zwang sich zu einem Lächeln. Buh zuckte mit den Achseln und lächelte zurück. Pavel packte Buh am Arm. »Beeil dich!«
Als Katka endlich kam – was viel länger dauerte, als Pavel erwartet hatte, – rannte sie fast. Pavel hatte genügend Zeit gehabt, sich in dem kleinen, scharf riechenden Stall zu orientieren und einen Platz zu finden, an dem Buh sich wenn schon nicht verstecken, so doch im Hintergrund halten konnte. Sein baufälliger Anblick hatte den Stall von ferne kleiner wirken lassen, als er war. Er musste die Ziegen und Schafe der gesamten Ansiedlung beherbergen, und dem Geruch nach zu urteilen erstreckte sich seine Gastfreundschaft auch auf das eine oder andere Schwein. Hühner scharrten in einem gesondert abgetrennten Pferch und beäugten die Neuankömmlinge mit dem Misstrauen, das sie Pavels Meinung nach auch verdient hatten. Während Buh im Schatten eines Heuhaufens saß und sehnsüchtig zu den Hühnern hinüberschielte in der Hoffnung, dass die Razzia von heute Morgen ein Ei übersehen haben mochte, war Pavel nichts anderes übriggeblieben, als zu warten. Er war nervös hin- und hergewandert und hatte alle paar Momente nach draußen gespäht; durch das undichte Dach fielen Sonnenstrahlen, fingen sich im tanzenden Staub und bildeten Säulen aus Licht, in denen der unruhige Pavel als Schatten auftauchte oder zwischen ihnen in der Dunkelheit unsichtbar wurde. Ihm schien selbst, als vollführe er eine Wanderung zwischen Himmel und Hölle, und im wechselnden Licht wurde seine Erinnerung geweckt an jene eine lange Wanderung, die ihn schließlich und endlich hier in diesem Stall hatte ankommen lassen mit Absichten, die umso schwärzer waren, je reiner er ihre Motivation wusste. Jene Wanderung hatte ihn als Halbwüchsigen vor die Klosterpforte von Braunau geführt.
Als er dort angekommen war, hatte Pavel sich am Ziel aller Wünsche gewähnt. Am fünften Tag seines Verharrens vor dem Tor verstand er, was die erste Mönchsregel für den Eintritt neuer Brüder bedeutete: Prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind.
Wenn es regnete, regnete es hartnäckig im Braunauer Talkessel. Die Wolken trieben von Westen her über den Riegel hinweg und sanken danach in das Braunauer Land, in ihrem weiteren Vormarsch nach Süden und Osten gehindert durch die bewaldeten Kuppen, die das Sterngebirge, die Heuscheuer und das Heidelgebirge ihnen entgegentürmten. Wenn sie diese Hindernisse überqueren wollten, mussten sie sich erleichtern, und das dauerte eine Weile. Wenn es regnete im Braunauer Land, regnete es immer ein paar Tage hintereinander.
Fünf Tage, um genau zu sein, dachte Pavel resigniert. Natürlich war all die Wochen zuvor schönes Wetter gewesen – ein Altweibersommer, der in einen goldenen Herbst überging, das Heu auf den Feldern von allein trocknen und die größeren Ansiedlungen – Braunau, Adersbach, Starkstadt – unter Staubglocken verschwinden ließ, während auf die Straßen, die sie und die vielen Dörfer verbanden, die Sonne niederbrannte. Der Schweiß war über Pavels Körper nicht nur getropft, er war förmlich geronnen auf seiner Reise und hatte sein
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