Die Teufelsbibel
herauslocken«, sagte Pavel.
»W… w… wo… wo?«
»Wohin?« Pavel deutete auf ein Bauwerk am Waldrand: ein bis zum Boden heruntergezogenes, mit Strohgarben bedecktes Dach, eine Halbtür, deren unterer Flügel offen stand. »Die Ziegen sind irgendwo beim Weiden«, sagte Pavel. »Da kommt so schnell niemand hin.«
»W… w… wie?«
»Wie wir sie herauslocken?« Pavel deutete auf eine schmale Gestalt, die langsam über den von Gebäuden des Weilers gebildeten Platz schlenderte, zwischen den Hausdächern verschwand und dann wieder auf dem Pfad auftauchte, der von den Häusern zum Waldrand und an ihm entlang führte, bis er irgendwann auf die Straße oder einen anderen Weiler treffen würde. »Er wird uns helfen.«
»Wenn’s so wichtig is’«, sagte der Junge. Er kaute an einem Grashalm und betrachtet die beiden Mönche mit gefurchter Stirn.
»Es ist wichtig«, bekräftigte Pavel.
»Na ja«, sagte der Junge. »Aber ihr seid auf’m Holzweg, das sag ich euch.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Meine Mutter is’ hier geboren. Die is’ nich’ von woanders gekommen. Die war schon immer hier.«
»Hm«, machte Pavel. »Uns wurde gesagt, es handle sich um deine Mutter.«
»Nee, nee.«
»Der ganze Weg umsonst. Gott prüft uns, Bruder Petr, hast du gehört?«
Buh, der zuerst seinen Namen nicht erkannte und vor sich hinbrütete, schreckte hoch und nickte theatralisch. Der Junge musterte ihn, wie er einen Bären gemustert hätte, den Gaukler an einem Nasenring hinter sich herzogen.
»Vielleicht meint ihr ja die alte Katka?«
Pavel blinzelte nicht. Bruder Tomáš hatte ihnen nie die Namen der beiden Menschen genannt, denen er das Kind, das sie hätten töten sollen, stattdessen anvertraut hatte, um es in Sicherheit zu bringen. Der Knecht jedoch hatte geredet – nach jenen zwei Stunden, in denen Buhs Statur und Körperkraft zu einer Perversion ihrer selbst geworden waren. Katerina – Katka –
»Ich dachte, deine Mutter heißt Katerina.« Pavel beschloss, die Scharade zu Ende zu spielen.
»Nee!« Der Junge lachte. »Meine Mutter heißt –«, er kratzte sich nachdenklich am Kopf, um einen Namen hervorzuholen, der nicht oft im Gebrauch war, »– Barbora.«
»Wir sind dir dankbar, dass du unseren Irrtum aufgeklärt hast, mein Sohn.«
»Ja?«
»Und wir können sehen, dass du ein kluger junger Mann bist.«
Buh grunzte und nickte. Der Junge beäugte ihn misstrauisch, dann wandte er sich wieder Pavel zu.
»Nun«, sagte Pavel. »Wir wollen kein Aufsehen erregen und euer friedliches Zuhause durcheinanderbringen. Aber wir haben eine wichtige Botschaft für Katka. Ich könnte mir keinen Besseren vorstellen als dich, um sie ihr zu überbringen.«
»Ich muss aber nach –«
»Aber sicher musst du. Und Gottes Segen wird dich begleiten, wenn du zwei demütigen Dienern des Herrn vorher eine winzige Spanne deiner Zeit widmest.«
»Ja?«
Es tat Pavel weh, den Jungen so zu missbrauchen. Er sah sich selbst in diesem schmalen, zu klein gewachsenen, sehnigen Halbwüchsigen mit den schmutzigen Füßen und den wirren Haaren. So hatte er ausgesehen, als er seine Reise angetreten hatte, die ihn schließlich vor das Tor des Klosters in Braunau gebracht hatte. Aufgebrochen war er aus einem ähnlichen Weiler. Der Hauptunterschied war, dass der halbwüchsige Pavel schneller von Begriff gewesen war – und sich beeilt hätte, zwei Mönchen einen Dienst zu erweisen; immerhin war sein ganzes Trachten darauf ausgerichtet gewesen, selbst einmal die Kutte in Demut und Bescheidenheit und im Eifer für den Herrn zu tragen.
»Ja.«
»Ich muss aber dringend –«
»Und Gottes Segen wird dich begleiten.«
Der Junge starrte Pavel an. »Gilt das auch für meine kleine Schwester?«, fragte er schließlich.
Pavel war verwirrt. Der Junge deutete hinter sich.
»Meine kleine Schwester. So groß.« Er deutete etwas an, das ein junger Hund hätte sein können. »Is’ erst ’n paar Tage alt. Vater sagt, sie macht’s nich’. Aber sie tut mir leid. Vielleicht könnt ihr den Herrn bitten, dass er auf sie ’n bisschen aufpasst? Ich komm schon zurecht.«
»Wir werden für sie beten«, sagte Pavel und fühlte sich wie ein Ungeheuer. Das Ungeheuer erkannte, was nötig war, und verzog Pavels Gesicht zu dem Lächeln, von dem er wusste, dass es Steine schmelzen konnte.
Der Junge lächelte zurück. »Was soll ich sagen?«
»Wir haben eine Botschaft für sie. Von einem jungen Mann. Aus Prag.«
»Aus Prag!«, sagte der Junge beeindruckt.
»Er
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