Die Teufelsbibel
würde alles abstreiten, einschließlich der Tatsache, dass er sie jemals gesehen hatte, und seine Verwandten würden, selbst wenn sie die Wahrheit kannten, hinter ihm stehen. Immerhin ging es um das Geld, das er mitgebracht hatte. Sie überlegte, ob sie seine Annäherungsversuche nicht stets hätte zurückweisen sollen – und erwog, was schlimmer war: sich von einem Mann bestrampeln zu lassen, der sich ihr aufgedrängt hatte, oder alleingelassen mit dem Kind zusammen im Straßengraben umzukommen? Katka biss die Zähne zusammen. Sie wusste, dass ein, zwei Tage weiterer Fußmarsch sie zu dem Weiler bringen würde, in den ihre Schwester eingeheiratet hatte. Fußmärsche waren nichts Besonderes, und tatsächlich war sie noch nicht einmal aus der Grafschaft herausgekommen – aber sie war noch von der Geburt und den nachfolgenden Tagen vergeblichen Bangens geschwächt; es war November, der Regen bitterkalt, die Straße war nicht sicher, und sie war eine junge Frau. Sie hätte sich von ihrem Begleiter vergewaltigen lassen sollen, er hatte wenigstens echtes Interesse an ihr gehabt und hätte dem Kind nichts angetan. Mit diesen Gedanken kam sie zu ihrem eigenen Erstaunen unbeschadet bis nach Neuenburg.
»Ich bewundere deine Stärke«, sagte Pavel.
»Ich scheiß drauf«, sagte Katka.
In Neuenburg hatten sie die Kräfte verlassen. Die Milch begann zu versiegen, das Kind wurde immer stiller und blasser. Sie hatte ihm keinen Namen gegeben; sie hatte es nicht übersHerz gebracht. Ihr eigenes Kind hatte sie nach ihrer eigenen Großmutter Yolanta nennen wollen; ihre Großmutter war ursprünglich aus dem Herzogtum Luxemburg gekommen, aber von dort nach Osten ausgewandert, und hatte ihrer Enkelin immer wieder die Geschichte ihrer Namenspatronin erzählt, der Prinzessin Yolande, die um ein Leben im Kloster gekämpft hatte. Etwas in ihr weigerte sich jedoch, diesen Namen an den Findling weiterzugeben, der ihr anvertraut worden war. Natürlich war da der Gedanke, das Kind einfach selbst zu behalten, doch sie war ehrlich zu sich selbst: war sie nicht trotz aller Trauer auch ein wenig erleichtert gewesen, als ihr eigenes Kind gestorben war? Es hatte eine Zeit gegeben, in der zwei junge Männer in Podlaschitz um sie geworben hatten, während der Raunächte, in denen die Menschen in immer wechselnden Häusern zusammentrafen, Geschichten erzählten, wenn draußen die unheimlichen Gestalten des Jahreswechsels umgingen, tranken, sich zulächelten – die Kaminfeuer brannten, bis die simplen Räume der Bauernkaten vor Hitze brüllten – bis die jungen Leute sich genügend Mut angetrunken hatten, um in die Ställe zu schleichen, weil es ja möglich war, dass es stimmte: dass die Tiere in den Raunächten sprachen und die Zukunft vorhersagten. Katka war in zwei aufeinander folgenden Nächten schwach geworden, erst mit dem einen, dann mit dem anderen. Die Tiere hatten ihr nicht vorausgesagt, dass dies damit enden würde, dass sie neun Monate später in Schande über die Dorfstraße ging, dass sie wenig später ihr eigenes Kind würde zu Grabe tragen müssen und dass sie mit einem fremden Kind, das an ihren Brüsten hing, aus ihrer Heimat fliehen würde.
In Neuenburg hatte sie ihre Scham überwunden und zu betteln begonnen. Der vermutlich letzte Warentreck dieses Jahres hatte dort Station gemacht, umfangreich genug, um ihr den Gedanken einzugeben, dass sein Besitzer ein wohlhabender Mann war. Der Mann zeigte sich nicht nur wohlhabend,sondern auch großzügig. Er lud Katka ein, sich an seinen Tisch zu setzen, als er ihre nur leicht veränderte Geschichte gehört hatte; darin war das fremde Kind ihr eigenes, aber die Schande der Geburt war geblieben; und der feige Knecht der Vater, aber dass sie theoretisch wusste, wohin er sich gewandt hatte, verschwieg sie. Der Mann hatte das Kind nur einmal kurz angeschaut und eine nichts sagende Bemerkung gemacht; Katka nahm ihm sein Desinteresse nicht übel.
Es zeigte sich, dass das Zusammentreffen ein Glücksfall für Katka war. Der Mann bot ihr an, im Schutz seines Trecks nach Prag mitzukommen.
»Und dort?«, fragte Pavel atemlos.
Katka zuckte mit den Schultern. »Er hat mir geholfen, es in ’nem Findelhaus unterzubringen, und sogar noch gespendet, damit die Schwestern dort es besser behandeln als die anderen. Er sagte, ein Kind, das all das überlebt hat, was ich ihm erzählt hatte, ist von Gott geliebt, und er will das seine tun, damit es ’ne Zukunft hat. Er sagte, es gibt ’ne Menge gute
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