Die Teufelsbibel
haben. Trotz allem sinnvollen oder paranoiden Taktieren des Kaisers und Hinhalten seines spanischen Onkels und seiner Verlobten: Er war in Spanien aufgewachsen und erzogen worden, sein Wesen hatte dem Hof seinen Stempel aufgedrückt, und eher kamen Feuer und Wasser gut miteinander aus als spanischer und englischer Geist. Abgesehen davon waren alle Engländer protestantische Ketzer, ihre Kapitäne Freibeuter, ihre Händler Betrüger, ihre Königin eine Hure, ihre Köche Giftmischer und die ganze verdammte Insel ein Schandfleck der Nordsee.
So sprach Boaventura Fernandes, und grinste.
Agnes hatte noch immer nicht ganz verstanden, womit der Portugiese sein Geld verdiente. Sie war verblüfft gewesen, festzustellen, wie schnell man an zwielichtige Gestalten geriet, wenn man die Handelsverbindungen des Hauses Wiegant & Wilfing einmal bis auf die dritte und vierte Ebene verfolgte. Es half nichts, dass sie sich vorsagte, es sei bei allen anderen erfolgreichen Kaufleuten auch nicht anders. Sie fühlte sich beschmutzt.
Irgendwann in den letzten Tagen hatte Agnes ihre Kindermagd in ihre Pläne eingeweiht. Sie war sich bewusst gewesen, dass jedermann im Haus sie ständig aus dem Augenwinkel beobachtete und jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legte, und so war es leichter gewesen, die Magd mit gewissen Nachforschungen zu betrauen. Die Magd hatte eine Bedingung gestellt: was immer Agnes auch vorhatte, sie würde ihre Magd mitnehmen. Und jetzt saß Boaventura Fernandes auf einer Truhe in Agnes’ Zimmer, misstrauisch beobachtet von der Magd, duftete intensiv nach Rosen, als wäre er ein fünf Fuß kleiner, zweibeiniger Liebesbrief, und lächelte sein Seeräuberlächeln. Er hatte einen kehligen Akzent, sprach aber vollkommen fehlerlos, und seine Versicherung, dass er noch vier weitere Sprachen fließend beherrschte, wirkte vollkommen glaubwürdig. Er sah nicht aus wie ein Kaufmann; er sah aus, wie man sich einen der Piraten vorstellte, die er mit Eloquenz verfluchte, und Agnes hatte den Verdacht, dass er mit einigen von diesen auf einer Basis bekannt war, die gegenseitiges Schulterklopfen, gemeinsame Saufabende und diverse im Dunkeln einer Spelunke gesiegelte Geschäftsverträge nicht ausschloss.
»Virrginia«, sagte Fernandes. »Virrginia.«
»Muss man Engländer sein, um in die Kolonie dort aufgenommen zu werden?«
»Nein«, sagte Fernandes. »Man muss ein Idiot sein.«
»Was soll das heißen?«
Fernandes griff nach dem Weinkelch, den er neben sich auf der Truhe abgestellt hatte. Agnes hatte keine Vorstellung von gutem oder schlechtem Wein, aber sich daran zu orientieren, ob der Wein in einer Tonamphore oder einer teuren Glasflasche gelagert wurde und welche davon im Keller des Hauses am schwersten zu erreichen und am staubigsten waren, war offensichtlich richtig gewesen. Fernandes hatte bereits am Ende der Präliminarien rote Backen und glänzende Augen gehabt. Agnes wäre beunruhigter gewesen, hätte sie geahnt, dass die Fähigkeit, noch im Zustand des Vollrauschs vorteilhafte Geschäfte abzuschließen, eine Grundvoraussetzung für einen Kaufmann war, der im Überseehandel erfolgreich sein wollte.
»Hörren Sie«, sagte Fernandes und schwenkte den Wein in seinem Kelch hin und her. Er trank einen Schluck, dann stellte er ihn entschlossen ab. »Sie sind die Tochter von Niklas, meinem Freund, und Sie sind die Verrlobte von Jung-Sebastian. Ich will ehrlich zu Ihnen sein.«
»Schön, dass sich meine Verlobung schon herumgesprochen hat«, sagte Agnes.
»Händler sind Waschweiber«, sagte Fernandes und lächelte stolz.
»Was ist das Problem mit Virginia?«
»Meine Damen«, sagte Fernandes und breitete die Arme aus, selbst im Augenblick der Wahrheit ein Charmeur, »es ist verflucht.«
Agnes und ihre Magd wechselten einen Blick. Agnes versuchte die Vorstellung lächerlich zu finden und versagte angesichts der ernsten Miene des Portugiesen.
»Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass einer meiner Brüder Navigatorr auf einem englischen Schiff war?«
Agnes zuckte mit den Schultern.
»Ist aber so. Es ist Krieg zwischen Spanien und England,doch aus dem Königreich Philipps kommen die besten Navigatorren; das ist schon seit den Zeiten Ferdinands und Isabellas und Prinz Heinrich des Seefahrrers so. Kein englischer Kapitän würrde einen spanischen Steuerrmann auf sein Schiff lassen, aber wir Porrtugiesen genießen – wie soll ich sagen – einen Vertrauensvorrteil, weil wir eigentlich ein eigenes Volk sind.« Fernandes
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