Die Teufelsbibel
Bruder hielt es für Wahnsinn, die Passsage zu machen; es war berreits November. Zuletzt fuhren sie doch und kamen mit Müh und Not heil in England an. Sie ließen die Siedler zurrück – hunderrtzwanzig Männer, Frauen und Kinder, darrunter zwei Neugeborrene. White und mein Bruder wussten beide, dass sie die Rückfahrrt in dieser Saison nicht mehr wagen konnten. Dann kam das Jahr 1588 –«
»Mein Gott«, sagte Agnes. »Ich glaube, ich verstehe.«
»Die Arrmada«, sagte Fernandes. »Alle seetüchtigen Schiffe wurrden zur Verrteidigung beschlagnahmt. Und danach – ich mache es kurrz, meine Damen: es dauerte drrei Jahre, bis White in die Neue Welt zurückkehren konnte. Mein Bruder war errneut sein Navigatorr. Die Kolonie war unbeschädigt. In den Häusern fanden sich alle Möbel, in den Werrkstättenangefangene Arbeit. Es gab kein Anzeichen von Streit, keine Spurren eines Kampfes. Alles sah so aus, als würrden die Bewohner jeden Moment wiederkehren. Doch die Menschen waren verschwunden. Über neunzig Männer, fast zwanzig Frauen, zehn Kinder – verschollen. Nichts, kein Überbleibsel, kein Fetzchen. White suchte nach den Leuten – eine der Frauen war seine Tochter, eines der Kinder seine Enkelin. Sie fanden nichts. Man hat nie wieder etwas von den Siedlern gehörrt.«
»Diese Geschichte ist mir völlig unbekannt«, sagte Agnes und versuchte, ihre Beklemmung abzuschütteln.
»Ich habe sie von meinem Bruder errfahren, der ein Jahr in England eingekerkert warr, weil die Geldgeber Whites, die seine zweite Fahrt finanzierrt hatten, ihm vorwarrfen, er sei zu langsam gesegelt; außerdem verloren sie bei einem Wirbelsturm ein Schiff samt Ausrüstung. Ich habe meinen Bruder errst vor ein paar Monaten getroffen, und glauben Sie mir, er hat keine Veranlassung, diese Geschichte herrumzuerzählen.«
»Weshalb erzählen Sie sie dann mir?«
»Weil Sie eine Dummheit begehen wollen, Fräulein Wiegant, und weil ich zu oft Ihrren Vater von Ihnen und seiner Liebe zu Ihnen habe reden hörren, als dass ich tatenlos zusehen möchte, wie Ihnen etwas zustößt.«
»Selbst wenn es stimmt, was Sie berichtet haben – es wird eine neue Kolonie geben. Es ist die Neue Welt. Es ist die Chance, ein neues Leben anzufangen. Die Menschen werden immer versuchen, dorthin zu gelangen.«
Fernandes stand auf. Er lächelte und streckte die Hand aus.
»Leben Sie wohl, Fräulein Wiegant. Ich werrde Ihnen nicht helfen, in Ihr Unglück zu ziehen. Ich bin mir bewusst, dass es viele Wege gibt, auf ein Schiff zu kommen, wenn wieder eines dorthin fährt, auch hier in Prag, und ich bin mir bewusst, dass Sie mich nicht geholt hätten, wenn Ihr Entschluss nicht schon weit gereift wärre. Also – denken Sie darrübernach, ob es nicht besser ist, Ihrre Pläne zu ändern, auch wenn Sie Ihnen noch so teuer sind. Ich lasse mir ein paar Tage Zeit. Wenn ich dann keine Botschaft von Ihnen bekommen habe, dass Sie es sich anders überrlegt haben, schreibe ich an Ihren Vater.«
Agnes funkelte ihn an. Sie ließ die Hand des Portugiesen in der Luft hängen. Fernandes zuckte mit den Schultern. »Sie mögen es nicht glauben, aber ich bin Ihr Freund. Manchmal hinterrlässt der Teufel seinen Fußabdruck auf der Welt, und es ist keinem Menschen zu raten, dorrt hineinzustolpern.«
24
Andrej wartete nicht länger als eine Stunde; ein gutes Zeichen. Dann folgte er dem Dienstboten durch ein weiteres Antichambre und stand schließlich in einem Kabinett. Gemälde hingen an den Wänden und standen auf Staffeleien. Es roch nach Öl und Terpentin. Die Gemälde waren dunkel und zeigten biblische Szenen, Allegorien oder Porträts von Leuten, die Andrej fremd waren. Zwischendrin hing einer der unvermeidlichen Arcimboldos. Gebildet aus Zwiebeln, Knoblauch, Dörrpflaumen und trockenen Getreidegarben, starrte ihn das Gesicht von Oberstlandrichter Lobkowicz an. Aus einer Ecke betrachtete ihn ein anderes Gesicht mit fast demselben Ausdruck tödlicher Langeweile wie das aus Gemüse zusammengesetzte Antlitz auf der Leinwand: eine Magd, ihre Anwesenheit der Schicklichkeit geschuldet, damit die Dame des Hauses und ein männlicher Besucher nicht allein zusammen waren.
»Was kann ich für den Ersten Geschichtenerzähler am Hof Seiner Majestät tun?«, fragte die Frau, die inmitten der mehr oder weniger bedeutenden Kunstwerke saß und sich selbst wie ein Kunstwerk in einem ausladenden Stuhl inszeniert hatte. Es war schwer zu sagen, wo die brokatschimmerndenGewänder aufhörten und der
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