Die Teufelsbibel
heraus.
Theresia Wiegant blieb stehen, als er auf sie zukam. Sie streckte die Hand nach der Frau mit dem Bündel aus, ohne hinzusehen, und hielt sie an der Schulter fest. Das Bündel machte Kleinkindergeräusche und zückte eine winzige Faust, die in der Luft herumfuhr.
Theresia nickte ihm zu. »Ehrwürden.«
Anders als Cyprian hatte Melchior sich von der schroffen Art Theresias niemals auch nur verärgern lassen. Er hatte ihreunzweifelhaften Qualitäten erkannt und sich ansonsten nicht darum gekümmert, was sie von ihm oder seiner Familie hielt.
»Frau Wiegant.«
Sie starrten sich an. Fragen wären angebracht gewesen, von »Was tun Sie denn hier?« bis »Was ist mit Ihrem Haus passiert?«. Ihre Beziehung war nicht so, dass Fragen gestellt wurden. Melchior akzeptierte es ohne Gefühlsregung. Jetzt sah er Niklas Wiegant mit den beiden Wilfings, die mit Händen und Füßen mit einem Mann verhandelten, der wahrscheinlich ein Haus zu vermieten hatte. Auch die Frage nach dem Wohlergehen der Familie schien überflüssig zu sein.
»Ich suche Cyprian.«
Zu Melchiors Überraschung wurde ein Riss in Theresias steinerner Fassade sichtbar. »Er ist hinter Agnes her«, sagte sie mit einem Anflug von Heiserkeit.
Der Bischof musterte sie schweigend.
»Agnes ist verschwunden. Seit dem Brand gestern Nacht«, sagte Theresia.
Melchior nickte. Er war bereits in Cyprians Bleibe gewesen. Alles hatte nach einem hastigen Aufbruch ausgesehen. Der Wagen war weg gewesen; an seiner Stelle hatte er einen aufgebrachten Mann mit Holzprothesen an Armen und Beinen vorgefunden, der ihm erklärt hatte, dass es sich nicht schickte, wenn die Pinasse ohne Navigator in See stach, Baas, beim Klabautermann! Melchior hatte ihm vorsichtshalber zugestimmt und war wieder abgefahren.
Und nun? Es hatte ein Szenario gegeben, dem Bischof Melchior hatte folgen wollen, als er in Wien aufgebrochen war. Cyprian war Teil des Szenarios gewesen. Cyprian war nicht da, und er hatte keine Ahnung, wie er sich mit ihm in Verbindung setzen konnte. Er konnte ihm natürlich folgen. Es gab schließlich nur vier Himmelsrichtungen, in die Cyprian aufgebrochen sein konnte, wenngleich der Bischof ahnte, dass die passende Richtung Osten war.
Sollte er den Plan umsetzen? Er wandte sich von Theresia ab und kehrte zu seinem Wagen zurück.
»Der nächste Schritt ist, die Aufmerksamkeit einer ganz bestimmten Person auf dich zu lenken«, erklärte er seinem Passagier. So war der Plan.
Bevor man gar nichts tat, tat man lieber das Falsche. Wenn man einen Plan hatte, dann war es geraten, ihm zu folgen, bis ein besserer Plan auftauchte.
Mit dem Gefühl, das Falsche zu tun, ließ Bischof Melchior den Wagen weiterfahren.
13
Cyprian fuhr sich über das unrasierte Kinn. Die Stoppeln und der Schmutz von zwei Tagen und zwei Nächten ließen ihn so finster wirken wie einen Wegelagerer. Er spähte zu dem Felsgebilde hinüber, hinter dem Andrej steckte. Er konnte ihn nicht entdecken. Guter Mann.
Er schätzte, dass er die beiden Schläfer jetzt eine halbe Stunde beobachtet hatte. Lange genug. Sie stellten sich nicht nur schlafend, dessen war er sicher.
Als sie den immer dichter werdenden Hinweisen auf eilige Mönche in Begleitung einer vermummten Gestalt gefolgt waren und schließlich mit dem ersten Grau des dritten Morgens in diese bizarre Landschaft aus Felstürmen und steinernen Gestalten eingedrungen waren, durch die sich die Straße nach Braunau wand, als fürchte sie sich selbst unter den phantastischen Formen, war Cyprian vollkommen ruhig geworden. Er spürte, dass ihre Beute direkt vor ihnen war. Sie hatten den Wagen zurückgelassen und waren unter dem fast ohrenbetäubenden Geschrill der Vögel zu Fuß weitergegangen, in einen Wald aus uralten Bäumen, in eine Geisterstadt aus massiven Felsblöcken, die aus der Erde wuchsen, hoch wie Kirchtürme.Cyprian war nicht überrascht gewesen, den Geruch eines erloschenen Feuers wahrzunehmen, und als sie fast über die eingemummelten Gestalten neben der glimmenden Asche gestolpert waren, hatte er lediglich Andrej in eine Deckung auf der anderen Seite des kleinen Lagers geschickt und ihn gebeten, auf sein Zeichen zu warten. Agnes war nirgends zu sehen, aber das Gelände war so unübersichtlich, dass sie unbemerkt hundert Schritt weiter in einer Felsspalte stecken konnte. Zum Suchen war nachher Zeit.
Das Zeichen – ein schlecht nachgemachter Vogelruf? Ein Steinwurf? Eine Stimme, die aus den Wolken sprach und sagte –
»Verdammt noch
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