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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Begleitmusik – einen langsamen, rhythmischen Trommelschlag. Abseits von der Straße stand ein Galgen. Die Leiter war angelehnt, ein Verurteilter stand darauf, den Strick um den Hals. Der Henker balancierte neben ihm auf der Leiter und hielt ihn fest. Es sah so aus, als hätte der Delinquent jemanden nötig, der ihn festhielt, damit er nicht vorzeitig von der Leiter fiel. Der Regen lief ihm in Strömen vom verzerrten Gesicht, nicht anders als dem Pfarrer, der neben dem Galgen stand und laut aus der Bibel las, oder den Zuschauern.Es sah aus, als sei die halbe Stadt hier herausgekommen, um ihm beim Sterben zuzusehen. Ein Halbwüchsiger schlug die Trommel. Jemand löste sich aus der Zuschauerschar und rannte zur Straße herauf, als Cyprian den Wagen weiterlenken wollte. Erneut entspann sich ein Gespräch zwischen Andrej und dem Mann.
    »Der Verurteilte hat einen Mord begangen«, erklärte Andrej.
    »Ein Fremder«, informierte der freundliche Gaffer in fließendem Deutsch, als habe er zuvor nicht in seiner Muttersprache geredet. Er strahlte Cyprian an. »Hat den Schuster erdrosselt, vor zwei Tagen. Wir haben ihn im Haus ertappt, als er es ausräumen wollte.«
    Cyprian nickte. Der Gaffer hing voller Begeisterung am Zaum des rechten Pferdes und gestikulierte einladend in Richtung des Galgens. Der Verurteilte hatte begonnen zu schreien, ein dünnes Geräusch, das unartikuliert bis zu ihnen drang. Er zappelte mit seinen auf dem Rücken gefesselten Händen und den zusammengebundenen Beinen, dass der Henker sich selbst festhalten musste, um nicht heruntergeschubst zu werden.
    »Er sagt natürlich, er war’s nicht«, erklärte der Gaffer und betrachtete das Schauspiel, als müsse er ihm Noten geben.
    »Tja«, machte Cyprian und hob den Zügel. »Wir müssen weiter.«
    »Die schwarzen Gespenster«, spottete der Mann. »Die Geistermönche. Die hätten den Mord begangen. Die Ausrede ist so blöd, dass sie fast schon wieder wahr wirkt.«
    »Tatsächlich«, sagte Cyprian und senkte die Hand mit dem Zügel ganz langsam wieder. Er konnte spüren, wie sich Andrej neben ihm versteifte. »Wie war das? Schwarze Mönche?«
    »Mann, wenn er so weiterzappelt, dann fällt er noch runter, bevor der Pfarrer mit der Predigt fertig ist. Blöder Hund. Wenn ich da oben stünde, ich würde zusehen, dass ich solange wie möglich oben bleiben kann. Ja. Schwarze Mönche, hat er gesagt.« Er verzog weinerlich das Gesicht und verstellte die Stimme. »›Ich bin nur aus Hunger in das Haus gegangen, als die Tür offen stand, Euer Ehren! Ich schwöre! Als ich reinging, rannten mich zwei schwarze Mönche um. Sie hatten feurige Augen und Bocksfüße, Euer Ehren! Ich schwör’s. Buhuhuuuuu‹!«
    »Zwei?«, fragte Cyprian.
    »Ja. Ich glaube, ich geh besser wieder runter. Der Henker kann ihn schon fast nicht mehr halten. Ich will nicht das Beste versäumen.«
    »Warten Sie. Warum Geistermönche?«
    Der Mann, der sich schon halb abgewendet hatte, drehte sich wieder um. »Ihr seid neu in der Gegend, was? Ein ganzes Stück weiter gab’s mal ein riesiges Kloster. Zuerst wurde es in den Hussitenkriegen verwüstet, so dass die Mönche es verließen und nach Braunau gingen – da hatten sie nämlich eine Priorei gegründet. Glück gehabt, was? Sie ließen ein paar Brüder als Klausner zurück. Dann gab’s dieses schreckliche Unwetter, vor zwanzig Jahren oder so. Das hat das Kloster dann vollkommen ruiniert. Seitdem heißt es, dass die Mönche, die in Braunau sterben, als schwarze Geister in ihr altes Kloster zurückkehren, um über den Verlust ihres alten Zentrums zu trauern. Nein!« Der Mann schlug die Hände vor das Gesicht. »Ach, Scheiße!«
    Der Verurteilte war von der Leiter gerutscht und die Leiter vom Querbalken. Der Henker fiel mit der Grazie von Fallobst herab. Der Verurteilte wurde auf halbem Weg nach unten vom Seil aufgehalten. Der Ruck fuhr Cyprian durch Mark und Bein. Der Verurteilte bog sich krampfhaft durch und schwang dann ganz still hin und her. Das Publikum buhte. Der Henker versuchte, einen Rest seiner Würde herzustellen, indem er sich aus dem Schlamm aufrappelte, den Gehängten am Fuß packte und noch einmal heftig daran zog. Es machte denToten nicht toter. Schlapper Beifall brandete auf. Der Mann, der zu Cyprian und Andrej heraufgerannt war, zog ein langes Gesicht. Cyprian hatte soeben sagen wollen, dass der Verurteilte unschuldig war; er schluckte seine Bemerkung hinunter. Er ahnte, dass Andrej beinahe dasselbe gesagt hätte. Der Mann

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