Die Teufelsbibel
kann, der Ring ist nicht geschlossen und die Welt ohne Schutz vor der Teufelsbibel.«
15
Pater Xavier blieb hinter der Klosterpforte stehen und atmete tief ein. Der Torhüter nahm es als Zeichen der Erleichterung und sagte: »Noch mal willkommen, Pater, in unserer Mitte. Gott hat unser Kloster gesegnet und vor der Krankheit behütet, die draußen umgeht.«
Pater Xavier sah keine Veranlassung, ihn aufzuklären. Er nickte und lächelte. Was ihn in Wahrheit mit Begeisterung erfüllte, war die Anwesenheit der Teufelsbibel. Er wusste, dass sie hier war. Er spürte sie. Er spürte das Vibrieren, den dumpfen Choral von Macht und unendlicher Geduld. Er hatte esschon gespürt, als er durch die Stadt geschritten war, in der die grauen Menschenbündel in den Gassen und an Hausecken mittlerweile nicht mehr beiseitegeräumt wurden. Die Stadt war eine Peststadt, der Anblick wie ein Bild aus dem innersten Kreis der Hölle, teuflisch ausgeleuchtet von feuerfarbenem Morgenlicht, das auch über den beiden großen, hastig aufgeschichteten Holzstapeln im Klostervorhof lag. Die Benediktiner bereiteten sich bereits darauf vor, die Pesttoten zu verbrennen, anstatt auf ihr Begräbnis zu warten.
Allem Horror zum Trotz war Pater Xavier geradezu enthusiastisch gewesen. Je weiter er sich dem Zentrum genähert hatte, das sich um das Kloster gruppierte, desto lauter war der Ruf gewesen. Die Kraft hatte ihn nicht erstaunt; wenn ihn etwas erstaunte, dann nur die Erkenntnis, dass er niemals vorgehabt hatte, die Teufelsbibel seinen Auftraggebern auszuhändigen. Nach dieser Erkenntnis hatte er leise gelacht. So war es von Anfang an vorgesehen gewesen. Ironischerweise würde die Botschaft, die er vor seiner Abreise aus Prag losgeschickt hatte, die letzte Kommunikation mit dem Kreis um Kardinal de Gaete sein, obwohl die Botschaft gar nicht an ihn gerichtet war. Ihr Inhalt hätte passender nicht sein können.
Pater Xavier nahm das Beben der Macht in sich auf. Nun bestand keine Eile mehr. Er hatte das Ziel erreicht, zu dem sein gesamtes Dasein geführt hatte. Nichts hatte ihn abhalten können, noch nicht einmal die Überraschung in letzter Sekunde, in Adersbach auf Pater Hernando zu stoßen. Sein Bruder in dominico hatte ihn nicht gesehen. Er war in Begleitung von zwei weiteren Mönchen und einer verhüllten Gestalt gewesen, die Pater Xavier als junge Frau identifiziert hatte, und eine Ahnung hatte ihm gesagt, dass er den Namen der jungen Frau kannte: Agnes Wiegant.
Xavier hatte Pater Hernando immer für einen schlauen Kopf gehalten, und so war er nicht erstaunt, dass auch er auf Agnes aufmerksam geworden war. Er war auch nicht erstauntüber die Schlussfolgerung, die er aus Pater Hernandos Anwesenheit zog: dass die Verschwörer ihn losgeschickt hatten, weil sie am Ende ihm, Pater Xavier, doch nicht vertrauten. Sie hatten die Situation richtig eingeschätzt. Pater Xavier lächelte. Sie hatten lediglich ihn, Pater Xavier, unterschätzt. Das Glück war auf Seiten Pater Xaviers, wie es das immer tat, wenn der richtige Mann am richtigen Platz war.
Sein Glück ging sogar so weit, dass er das Geld für die Totschläger, die er in Adersbach angeheuert hatte, einsparen konnte. Die Burschen hatten zuverlässig die beiden anderen Dominikaner beseitigt, die Pater Hernando begleiteten; ihr Lager war einfach aufzuspüren gewesen, und Pater Xavier hatte geahnt, dass seine Mitarbeiter nicht zum ersten Mal Reisende inmitten des Felsenlabyrinths überfielen. Doch als sie mit ihm in Braunau ankamen und erkannten, dass dort die Pest herrschte, waren sie geflohen, ohne groß Abschied zu nehmen. In diesem Zusammenhang war es als gleichgültig zu betrachten, dass Pater Hernando und Agnes Wiegant beim Überfall nicht im Lager gewesen waren. Selbst wenn Hernando es schaffte, bis nach Braunau zu kommen, konnte er nichts mehr ausrichten. Pater Xavier hatte gesiegt. Er hatte sein Pferd in einem verwaisten Stall gleich hinter der Stadtmauer angebunden und war dem Gesang der Teufelsbibel gefolgt.
Braunau. Die Lösung hatte so nahe gelegen, dass nicht einmal er, Pater Xavier, sie gesehen hatte. Als Yolanta ihm von Podlaschitz berichtet hatte, hätte er nur lange genug herumfragen müssen, um die Verbindung zu Braunau herzustellen. Aber warum um verflossene Gelegenheiten trauern, wenn sie keine Rolle mehr spielten? Die beiden Brüder in dominico , die sie überfallen hatten, waren gesprächig gewesen. Natürlich hatten sie gedacht, von einem Glaubensbruder drohe ihnen keine
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