Die Teufelsbibel
streichelte sein Gesicht und wischte die Tränen weg.
Sie nahm ihn in die Arme und zog ihn zu sich heran, und einen kurzen Moment lang war ihm bewusst, dass es bislang immer andersherum gewesen war, bevor er sich dem überwältigenden Gefühl hingab, derjenige zu sein, der getröstet wurde.
Letztlich hatte er den Trost nötig. Er wusste jetzt mit absoluter Gewissheit, dass er und Agnes in Braunau den Tod finden würden.
19
»Das da draussen ist eine Peststadt. Es war sehr unvernünftig, hierherzukommen«, sagte der Abt.
»Warum haben Sie uns dann so lange vor der Klosterpforte warten lassen? Es hat bis zum Abend gedauert, ehe man uns hereingelassen hat.«
»Das war ein Missverständnis. Eine kleine Kollision mit unseren Sicherheitsmaßnahmen, die Seuche draußen zu halten. Ich bedauere außerordentlich.« Der Abt machte ein Gesicht, aus dem man alles hätte herauslesen können, nur nicht Bedauern. Er sah vorzeitig gealtert aus, grau, erschöpft, erdrückt; sein Lächeln spannte seine Lippen, brachte aber keine Freude in seine Züge. Der Mönch mit dem graubraunen Mantel über der Kutte und der Kapuze über dem Kopf, der ein Stück hinter dem Stuhl des Abtes stand, sprach kein Wort. Seine Körperhaltung war demütig, so dass man nicht in seine Kapuze hineinsehen konnte. Er war mit dem Abt hereingekommen, hatte Aufstellung genommen, als der Abt sich umständlich gesetzt hatte, und war dann zu einer Art langsam atmender Statue erstarrt.
»Ich verstehe, dass unser Auftritt eher ungewöhnlich ist.«
Der Abt nickte langsam und ließ seine Blicke zwischen seinen beiden Besuchern hin- und herwandern. »Bitte erklären Sie mir noch einmal, was Sie hierhergeführt hat. Ich fürchte, ich habe es nicht auf Anhieb verstanden«, sagte er.
»Mein Name ist Cyprian Khlesl. Ich bin im Auftrag meines Onkels hier, des Bischofs von Wiener Neustadt. Mein Onkel wiederum handelt im Auftrag Seiner Majestät des Kaisers.«
»Matthias von Habsburg«, sagte der Abt.
»Rudolf von Habsburg.«
»Ach ja«, sagte der Abt.
»Der Kaiser, der als großer Sammler bekannt ist, wünscht ein Artefakt in seine Sammlung aufzunehmen, das hier in Ihrem Kloster aufbewahrt wird. Seine Majestät versteht natürlich, dass er nur darum bitten kann, und er tut es im Namen der Einigkeit der katholischen Kirche und hofft auf die Gnade eines Abtes, der in der Vergangenheit für sein Verständnis und seine Toleranz auch gegenüber protestantischen Wünschen bekannt geworden ist.«
Der Abt schien beschlossen zu haben, die Drohung zu ignorieren. »Kennen Sie die Sammlung des Kaisers, Herr Khlesl?«
»O ja. Ich durfte sie mehrfach betrachten.«
»Ist sie schön?«
»Sie ist einzigartig. Der Kaiser bezieht sehr viel Freude und Kraft daraus.«
»Sie sind kein Mann der Kirche, Herr Khlesl?«
»Ich bin Laie, wenn Sie das meinen.«
»Man muss nicht ein Mitglied des Klerus sein, um der Kirche einen Dienst zu erweisen.«
»So sehe ich das auch.«
»Was durch das Vertrauen Ihres Onkels in Ihre Person bewiesen wird. Aber Ihr – äh – Begleiter –«
»Pater Hernando de Guevara vertritt hier sowohl die heilige Inquisition als auch die guten Absichten Seiner Allerkatholischsten Hoheit, König Philipp von Spanien, dem Onkel unseres Kaisers.«
Pater Hernando nickte. Andrej hielt das Lächeln in seinem Gesicht fest. Er hoffte, dass die Gegenwart des Dominikaners und vor allem die Nennung der heiligen Inquisition den Abt kooperationsbereit machte. Pater Hernando und das, wofür er stand, war der Pluspunkt, den seine Improvisation dem Plan voraushatte, den Cyprian und Bischof Melchior gesponnenhatten. Wenigstens ein Pluspunkt, dachte Andrej und versuchte die Tatsache zu verdrängen, dass als einer von vielen Minuspunkten das Fehlen der kaiserlichen Soldaten dagegenstand, die ein Teil von Cyprians Plan gewesen waren und über die Andrej leider nicht verfügte. Er war sicher, dass er sie demnächst würde ins Spiel bringen müssen.
»Es tut mir sehr leid, zugeben zu müssen, dass ich nicht die geringste Ahnung habe, welcher Schatz das Gefallen des Kaisers erregt haben könnte«, sagte der Abt.
»Seine Majestät sind absolut sicher.«
»Ich verstehe das nicht. Ich würde ihm gern anbieten, mit ihm zusammen das ganze Kloster auf den Kopf zu stellen, um zu finden, was er sucht.«
Andrej bemühte sich, irgendetwas zu spüren. Er war an dem Ort, an dem die Teufelsbibel versteckt war; das Buch hatte das Schicksal seiner Familie bestimmt, seinem Vater und seiner
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