Die Teufelsbibel
Pflicht, einem noch nicht eingelösten Versprechen, einer Mission zu folgen! Du liebst mich, aber zehntausend Dinge kommen noch vor deiner Liebe!«
»Das ist nicht wahr!«, schrie er zurück und wusste, dass es mehr als wahr war.
»Was willst du tun? Mich hier zurücklassen? Mich nach Braunau schleppen? Mit mir umkehren?«
»Aber …«
»Was willst du tun?«, schrie sie. »Was gebietet dir deine Liebe zu mir?«
Cyprian ballte die Fäuste, doch nicht vor Zorn, sondern weil er versuchte, sich in der dünnen Luft festzuklammern. Sein Herz wurde herausgerissen. Er stöhnte.
»Ich … ich …«
»Hör auf die Liebe. Was sagt sie dir?«
»… ich … kehre mit dir um!« Er hatte das Gefühl, nie etwas Feigeres gesagt zu haben.
Agnes machte einen Schritt auf ihn zu, brachte ihr Gesicht direkt vor seines und schrie: »NEEEEIIIN!!«
Cyprian zuckte zurück.
»Du liebst mich, aber du verstehst mich nicht!«, tobte Agnes. »Umkehren? Was ist es für dich, was in diesem Kloster in Braunau vor der Welt versteckt wird? Das Ziel der Bemühungen deines Onkels, dem du immer noch etwas schuldig zu sein glaubst, nur weil er dich stets freundlich behandelt hat, obwohl du einen gewaltigen Fehler begangen hast? Oder irgendetwas Abstraktes, das alle haben wollen, und du willst bei diesem Rennen der Erste sein, zum einen, weil du eine vage Ahnung hast, dass dies das Beste wäre, zum anderen, weil noch nie jemand gewagt hat, einen von deinen Plänen scheitern zu lassen?«
»Agnes …«
»Weißt du, was es für mich ist, was sie dort verstecken? Ein Symbol dafür, dass meine leibliche Mutter an einem Ort ermordet worden ist, an dem sie Schutz und Asyl erhoffte, nachdem sie tausend Meilen weit geflohen war! Ein Sinnbild für alles, was mir weggenommen worden und nie aus vollem Herzen ersetzt worden ist – die Liebe meiner Mutter! Die treibende Kraft dahinter, dass mein Vater meine Liebe zu dir hintertrieb, weil er versprechen musste, mich für immer auf Abstand zur katholischen Kirche zu halten! Das Pulsieren des Bösen, das zwei Wahnsinnige dazu getrieben hat, das Haus meiner Eltern anzuzünden, ihren Tod in Kauf zu nehmen und das Risiko, eine halbe Stadt abzubrennen, und die eine Frau ermordet haben, die meine Freundin hätte sein können, nur weil sie sie mit mir verwechselten!«
»Ich …«
»Das Ziel von zwei anderen Wahnsinnigen, von denen der eine mich aus meiner Heimat verschleppt und zwingt, bei Tag und Nacht verhüllt durch das Land zu hetzen, während der andere eine Spur aus Verrat, Gemeinheit und Morden durch das Reich zieht!«
»Aber …«
»Verstehst du das nicht? Das ist sie für mich – diese Teufelsbibel! Sie hat mein ganzes Leben bestimmt! Sie hat mir alles genommen, was mir gehört hätte, und das sauer gemacht, was mir stattdessen gegeben wurde. Ich will sie brennen sehen,Cyprian, BRENNEN! Und wenn du mich aufhalten willst auf meinem Weg nach Braunau, dann musst du mich hier an einen Baum fesseln!«
Sie starrte ihn an. Er spürte die Hitze, die von ihr ausging. Er war so schockiert von ihrem Ausbruch, dass seine Gedanken zum Stillstand gekommen waren. Er erwiderte ihren Blick, und plötzlich verschwamm ihr Gesicht vor seinen Augen. Mit unsäglichem Entsetzen erkannte er, dass ihm Tränen in die Augen gestiegen waren. Er versuchte sie zurückzuhalten, doch es gelang ihm nicht. Er wusste jetzt, welcher Art genau die Angst war, die ihn die ganze Zeit in den Krallen gehabt hatte: die Angst, noch einmal darüber nachdenken zu müssen, ob ein Leben ohne Agnes vorstellbar war. Die Minuten, in denen er einen leblosen Körper durch eine in der Dunkelheit rot glühende Feuerhölle getragen hatte, gegen jede Gewissheit wünschend, dass die Schlaffheit nicht der Beweis dafür war, was er mehr als alles andere fürchtete …
»O mein Gott«, sagte Agnes, und in ihre Augen schossen ebenfalls Tränen. »Was habe ich getan?«, flüsterte sie.
Cyprian senkte den Kopf und spürte, wie sich ein Stöhnen Bahn brach. Er unterdrückte es, aber es erdrosselte ihn fast. Und dann wusste er, was Liebe wirklich bedeutete: den anderen dabei zu unterstützen, das zu tun, was ihm das Wichtigste war, auch wenn man selbst eine Höllenangst davor hatte und gewiss war, dass man das verlieren würde, was einem am teuersten war.
»Du hast mir gezeigt, was ich wirklich für dich fühle«, sagte er. Die Tränen liefen ihm jetzt über die Wangen. Er schämte sich dafür und war gleichzeitig stolz, sie ihr zu zeigen. Sie
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