Die Teufelsbibel
war in Ordnung, es war ein ganz junger Bock. Wir haben ihn bloß zu lange gelagert.«
»Seit wann bist du zum Fleischer geworden, Niklas Wiegant, dass du das beurteilen kannst? Stehst du den ganzen Tag in der Küche oder ich?«
»Ich hatte den Bock von Sebastian Wilfings Bruder, dem kaiserlichen Hofjäger.«
»Na und? Was willst du? Das ist doch der Beweis, dass unsere Dienstboten nichts taugen! Sie lassen sogar ein perfektes Stück Fleisch verderben, die Faulpelze! Aber wenn es nach dir ginge, dann würde jeder an Lichtmess noch einen Dukaten unter seinem Teller finden, anstatt auf der Straße zu landen, wie sie es verdient haben.«
»Wie willst du denn gute Dienstboten finden, wenn du die meisten davon jedes Jahr davonjagst? Zu einem guten Gesinde gehört auch, dass es sich darauf verlassen kann, dass seine Herrschaft es beschützt.«
»Worauf willst du denn jetzt hinaus? Dass ich nicht imstande bin, das Gesinde ordentlich zu führen? Du bist die längste Zeit des Jahres irgendwo unterwegs und lässt mich mit der ganzen Arbeit hier zurück. War schon einmal etwas nicht zu deiner Zufriedenheit, als du heimgekehrt bist? War einmal das Haus schmutzig oder der Kamin verrußt oder das Dach leck? Na, Niklas Wiegant, war es das?«
»HÖRT AUF!«, schrie Agnes.
Ihre Eltern gafften sie an. Niklas Wiegant räusperte sich und wurde rot. Theresia holte Atem. »Was glaubst du eigentlich, junge Dame, wen du vor dir hast?«
Agnes biss die Zähne zusammen. Nicht unbedingt der beste Anfang für das Gespräch, das sie zu führen hatte: ihre Eltern anzuschreien. Doch der Schrei hatte sich Bahn gebrochen, noch bevor sie sich bewusst gewesen war, dass er in ihr brodelte.
»Es tut mir leid«, sagte sie mühsam. »Vater, Mutter, bitte setzen Sie sich zu mir. Ich muss Ihnen etwas Wichtiges erklären.«
»Ich kann dir auch im Stehen zuhören«, begann Theresia, doch Niklas schob sie an den Tisch und sagte: »Setz dich, meine Liebe, und lass uns zuhören.«
»Das wäre ja noch schöner, dass die junge Dame uns an den Tisch bittet, als hätte sie hier das Sagen und nicht wir.« Theresia nahm Platz und starrte ihre Tochter feindselig an.
Agnes versuchte sich an die Gesprächstaktik zu erinnern, die sie sich zurechtgelegt hatte. Die Taktik war weg. Alles, was in ihrem Hirn war und sich auf die Zunge drängte, war blinde Panik. »Ich kann Sebastian Wilfing nicht heiraten!«, platzte sie heraus.
Theresia warf ihrem Mann einen Blick zu. Niklas zuckte mit den Schultern. Zumindest diesen Teil hatte er schon gehört.
»Mutter …« Plötzlich erinnerte sich Agnes daran, dass sie früher immer die Hand ihrer Mutter gehalten hatte, wenn es darum ging, eine Sünde zu beichten. Mutter, ich war es, die den Deckel vom Honigfass zerbrochen hat, nicht die Tochter der Köchin; Mutter, können Sie die beiden nicht wieder in unser Haus aufnehmen, sie haben doch gar nichts angestellt. Die Hand ihrer Mutter war so leblos wie ein Stück Holz geblieben, hatte sich dem nervösen Kneten und Streicheln der Kinderhand gefügt, aber es nicht erwidert, war genauso kühl gewesen wie dieAntwort: Nein, Agnes, ich werde sie nicht zurückholen; wenn du ein schlechtes Gewissen deswegen hast, dass jemand anderer für deine Verfehlung büßt, denk daran, dass du spätestens dann selbst dafür büßen wirst, wenn du vor deinem Richter stehst. In der Rückschau schien es Agnes, dass sie nicht allein wegen des benötigten Rückhalts die Hand ihrer Mutter gehalten hatte, sondern auch, um sie zu hindern, während der Beichte aufzustehen und fortzugehen. »Mutter – es wäre doch schön, den Bischof zum Verwandten zu haben; denken Sie bloß mal daran, dass Sie und Vater einen Ehrenplatz in den Prozessionen hätten, und nach der Messe würde er vielleicht sogar bei Ihnen anhalten und Sie besonders segnen, und …«
»Wovon sprichst du, Kind?«, unterbrach Theresia.
»… und Vater – haben Sie nicht gesagt, wie schwierig die Geschäfte zur Zeit gehen? Der Hofkaplan könnte doch dafür sorgen, dass Sie einer der Hoflieferanten werden, und dann müssten Sie auch nicht mehr so viel reisen –« Agnes wurde sich bewusst, dass sie klang, als wollte sie Melchior Khlesl heiraten und nicht seinen Neffen. Sie verstummte. Sie wollte sagen, dass in all den Zeiten, in denen ihr Vater nicht da gewesen war und ihre Mutter sie noch kühler als sonst behandelt hatte, Cyprian an ihrer Seite gestanden war. Aber sie konnte es nicht sagen, weil es sich wie ein Vorwurf an beide
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